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joggelich
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Do Sep 10, 2020 9:28 am
«Gerade da gibt es viele Schweiz-Fans»

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«Für die Wirtschaft ist die Personenfreizügigkeit essenziell»: Valentin Vogt. Foto: Dominique Meienberg

Begrenzungsinitiative Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt wehrt sich gegen den SVP-Vorwurf, ausländischen Chefs fehle der Bezug zur Schweiz. Seine Firmen würden bei Kündigung der Bilateralen den Wegzug prüfen.

Fabian Renz. BaZ 10.09.2020

Wir hören oft, wie wichtig die Bilateralen I für die Wirtschaft seien. Können Sie die sieben Verträge aufzählen?
Die Bilateralen I sind ein massgeschneidertes Paket. Das Ganze zählt viel mehr als die sieben Einzelglieder.

Wir fragen darum, weil es vielen schwerfällt, die Verträge und ihren konkreten Nutzen zu benennen.
Die Verträge als Gesamtkonstrukt geben uns Rechtssicherheit und einen klaren Rahmen. Wenn wir am 27. September der SVP-Begrenzungsinitiative zustimmen und die Personenfreizügigkeit kündigen, lösen wir die Guillotine-Klausel aus. Dann fallen die Bilateralen I dahin. Das ist ein leichtsinniges und gefährliches Experiment.

Aber trotzdem die Frage: Was nützen uns die Verträge aus den Bilateralen I ganz konkret?
Nehmen wir das Luftverkehrsabkommen: Es stellt sicher, dass die Swiss gleich behandelt wird wie die übrigen Airlines, wenn es um die Verteilung der Flug-Slots geht. Wenn das Abkommen wegfällt, können wir von Zürich aus vielleicht nur noch sechs oder sieben Standorte direkt anfliegen. Das Landverkehrsabkommen ermöglicht uns, den Gütertransport auf der Schiene zu stärken. Von grosser Bedeutung ist das Abkommen über die Handelshemmnisse, das unsere Produktnormen mit der EU synchronisiert.

Am meisten Wert legen die Arbeitgeber doch wohl auf die Personenfreizügigkeit, nicht?
Ja, selbstverständlich. Für die Wirtschaft ist die Personenfreizügigkeit essenziell. Wir werden immer auf Zuwanderung zur Ergänzung unseres inländischen Arbeitskräfteangebots angewiesen sein.

Laut Ems-Chemie-Chefin Magdalena Martullo-Blocher nutzen die Arbeitgeber die Personenfreizügigkeit, um Ausländer einzustellen, obwohl es qualifizierte Schweizer gäbe.
Auch ich kenne solche Beispiele. Doch der Observatoriumsbericht des Bundes und andere Untersuchungen bestätigen, dass es auf dem Arbeitsmarkt keine systematische Verdrängung gibt. Wieso sollten wir Arbeitgeber das tun? Es ist ja immer auch ein Risiko, jemanden aus dem Ausland einzustellen, der mit unserer Kultur nicht vertraut ist.

Ein weiterer Vorwurf von Frau Martullo: Viele Manager agieren nicht im Interesse der Schweiz, weil sie nicht aus der Schweiz stammen.
Gerade unter den ausländischen Konzernchefs gibt es sehr viele Schweiz-Fans. Die sehen unser Land oft viel weniger kritisch, als wir Schweizer das selber tun. Nehmen Sie Roche-Chef Severin Schwan als Beispiel, der ursprünglich aus Österreich stammt und sich hier kürzlich einbürgern liess.

Sie sind selber Unternehmer. Wie viel Personal rekrutieren Sie pro Jahr über die Personenfreizügigkeit?
Als ich 2002 bei Burckhardt Compression angefangen habe, beschäftigten wir rund 300 Mitarbeitende in der Schweiz. Im Juli dieses Jahres, als ich mein Verwaltungsratspräsidium abgegeben habe, waren es mehr als 700. Der Anteil der Mitarbeitenden aus der EU war immer bei rund 20 Prozent. Das heisst, wir haben in dieser Zeit zusätzliche 320 Arbeitsplätze für Schweizer und Schweizerinnen geschaffen.

Nennen Sie uns doch Beispiele von Berufsleuten, die Sie hier in der Schweiz nicht finden.
Ein Bereich, der an Bedeutung gewinnt, ist die professionelle Dokumentation von Produkten. In Deutschland gibt es dafür einen Lehrgang, in der Schweiz nicht. Bei Burckhardt Compression arbeiten wir viel mit Guss, doch in der Schweiz gibt es fast keine Giessereien mehr - und folglich zu wenig Leute mit entsprechendem Fachwissen.

Sie bekämen die benötigten Fachleute doch auch über Kontingente.
Das ist nicht sicher. Wer weiss, ob und wann uns Kontingente zugeteilt werden? Und Kontingente bedeuten Bürokratie. Es gibt ja schon Kontingente für Drittstaatenangehörige, die wir nutzen, und das ist ein unglaublicher Mehraufwand. Wenn eine gesuchte ausländische Person plötzlich auf den Arbeitsmarkt kommt und man diese einstellen möchte, geht das mit Kontingenten ebenfalls nur schwer.

Was ist mit den übrigen Abkommen? Würden Sie das merken, wenn die wegfallen?
Natürlich, in unzähligen Bereichen. Wir müssten unsere Produkte in jedem einzelnen EU-Land separat zertifizieren lassen. Wir wüssten nicht, ob wir im Flugverkehr noch die Slots bekämen, um direkt dorthin reisen zu können. Wir hätten ganz generell eine enorme Rechtsunsicherheit. Die Bedeutung von Rechtssicherheit und Stabilität für unser Land - und speziell für die Wirtschaft - kann man nicht hoch genug einschätzen.


"Es ist auch
ein Risiko,
jemanden aus
dem Ausland
einzustellen,
der mit unserer
Kultur nich
vertraut ist."


Rechtssicherheit und Freihandel sind laut SVP gewährleistet. Sie verweist auf das Abkommen von 1972.
Es ist völliges Wunschdenken, dass dieses Abkommen die Bilateralen I ersetzen könnte. Wir müssten es erneuern oder modernisieren. Das in den letzten Jahren am schnellsten ausgehandelte Freihandelsabkommen war dasjenige mit China, und dafür haben wir beinahe vier Jahre benötigt. Glaubt irgendwer, dass es mit der EU schneller ginge? Wenn wir der SVP-Initiative zustimmen, dann fallen die Bilateralen I im April 2022 weg, und es beginnen jahrelange Verhandlungen. Das ist das Gegenteil von Sicherheit und Stabilität.

Wie würde Burckhardt Compression auf ein Ja zur SVP-Initiative reagieren?
Burckhardt Compression und andere Unternehmen, bei denen ich im Verwaltungsrat bin, würden sicher überprüfen, ob alle bisherigen Tätigkeiten auch in Zukunft noch in der Schweiz ausgeübt werden können. Alle Unternehmen, in die ich involviert bin, sind gerne hier. Die Schweiz hat heute schon Nachteile wie etwa die hohen Kosten und den starken Franken. Wenn man dann noch die Vorteile wegnimmt, wird es schwierig. Lieber wäre es mir allerdings, wenn wir uns solche Überlegungen sparen könnten.

Übertreiben Sie nicht ein bisschen? Laut neuen Studien haben sich die Bilateralen I auf das Bruttoinlandprodukt pro Kopf kaum ausgewirkt.
Ich bin schon lange Unternehmer und halte mich an die Fakten und die Realität. Ich kann mich an die Zeit von 1990 bis 2000 gut erinnern. Das war eine sehr schwierige Phase für die Schweiz. Nach der Ablehnung des EWR 1992 hatte eine regelrechte Depression das Land erfasst. Es läuft wieder deutlich besser, seit wir 2002 unser Verhältnis zur EU mit den Bilateralen I regeln konnten. Irgendwelche Studien, die irgendetwas behaupten, findet man immer.

Sprechen wir noch über Corona. Wie gut kommt die Wirtschaft durch die Krise?
Das Bruttoinlandprodukt wird dieses Jahr um 6 Prozent sinken, wir haben im Moment etwa 150’000 Arbeitslose und rund 900’000 Arbeitnehmende in Kurzarbeit. Wir sind bis jetzt besser durch die Krise gekommen als befürchtet. Grosse Sorgen bereiten mir jedoch die kommenden Monate. Dann werden viele Unternehmen realisieren, dass das Geschäftsniveau der neuen Normalität deutlich tiefer liegen wird als bisher. Es wird zum Teil Jahre dauern, um wieder auf das Vor-Corona-Niveau zu kommen.

Im Klartext: Es steht eine Entlassungswelle an?
Viele Unternehmen werden gezwungen sein, Restrukturierungen einzuleiten. Ja, ich fürchte, dass es zu Entlassungen im grossen Stil kommen könnte.
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Do Sep 10, 2020 10:50 am
Moria, die Katastrophe mit Ansage

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Gespenstische Schatten: Flüchtlinge verlassen das brennende Lager Moria. Foto: Elias Marcou (Reuters)

Feuer im Flüchtlingslager Frust, Wut und Proteste von Migranten und Einheimischen: Im Lager Moria schwelten schon seit langem Konflikte. Zuletzt kamen auch noch Corona-Infektionen hinzu. Nun ist Europas grösstes Flüchtlingslager abgebrannt.

Tobias Zick; BaZ 10.09.2020

Es gab schon zuvor einige Gründe dafür, Moria als «Hölle» zu bezeichnen. Dann kamen die Flammen, die das Ensemble aus eng gedrängten Flüchtlings zelten vollends in ein Inferno verwandelten. Das seit langem überfüllte Camp auf der Ägäis-Insel Lesbos, das grösste Flüchtlingslager in der EU, Sinnbild für Europas Scheitern im Umgang mit Schutzsuchenden, ist in der Nacht auf Mittwoch zu grossen Teilen abgebrannt.

Bilder und Videos, die Augenzeugen über soziale Medien verbreiten, zeigen lichterloh brennende Zelte, verkohlte Trümmer, fliehende Menschen mit Bündeln und Kinderwagen. Einige der Zelte seien offenbar vom Feuer verschont geblieben, sagte ein Anwohner am Morgen der BBC, das Camp sei «vollständig zerstört», sagte dagegen der Vizegouverneur von Lesbos einem einheimischen Radiosender. Der Bürgermeister der Inselhauptstadt Mytilini ergänzte, es sei eine «sehr schwierige Lage», da einige derer, die jetzt vor den Flammen in umliegende Felder und Dörfer geflüchtet seien, «positiv» seien - also mit dem Coronavirus infiziert. Die Regierung in Athen verhängte über die Inseln einen viertägigen Ausnahmezustand.

Todesopfer durch den Brand gab es nach offiziellen Angaben bislang keine, einige der Ge flüchteten würden jedoch unter Rauchvergiftungen leiden. Wo die rund 13’000 Menschen, die in dem ursprünglich für knapp 3000 ausgelegten Camp lebten, nun unterkommen sollen, wie sie an Trinkwasser, Nahrung und medizinische Versorgung kommen: alles grosse, dringende Fragezeichen.

Feuer wohl absichtlich gelegt
Nach Angaben der Feuerwehr waren die Brände an drei oder mehr Stellen ausgebrochen - was dafür spricht, dass die Feuer absichtlich gelegt wurden. Von wem, ist bislang unklar: von Insassen des Lagers selbst, die, wie der lokale Feuerwehrchef in einem Fernsehinterview sagte, dann auch noch die Einsatzkräfte am Löschen gehindert hätten? Oder von Einheimischen der Insel, die zuvor immer wieder gegen die Anwesenheit der Flüchtlinge protestiert hatten - mitunter gewaltsam wie etwa Anfang März, als Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, Journalisten und Migranten selbst körperlich attackiert wurden?

Mögliche Motive gäbe es auf beiden Seiten. Frust, Wut und Verzweiflung unter den Insassen des Lagers sind ohnehin gewaltig - und sie sind vergangene Woche noch weitergewachsen, nachdem der erste Covid-Infektionsfall in Moria bestätigt wurde. Die Behörden stellten darauf das gesamte Lager unter Quarantäne. Viele Bewohner fühlen sich von den Behörden im Stich gelassen, dem Virus ausgeliefert: An Mundschutzmasken, Desinfektionsmittel und Tests mangelt es seit langem. Ebenso an Platz, um den zum Schutz vor Ansteckung gebotenen Abstand einzuhalten.

Das Virus kam mutmasslich im Körper eines 40-jährigen Somaliers nach Moria, der am Mittwoch vergangener Woche positiv getestet wurde. Der Mann hatte bereits im Juni seinen Status als anerkannter Flüchtling erhalten, war dann in die Hauptstadt Athen gereist, wo er allerdings offenbar keine Unterkunft fand - und deshalb nach Lesbos zurückkam, in das «Dschungel» genannte Areal in den Olivenhainen rings um den offiziellen, abgezäunten Bereich des Lagers.

Der Fall bestätigt insofern die Kritik diverser Hilfsorganisationen an der Athener Flüchtlingspolitik: Zwar hat die Regierung sichtlich Anstrengungen unternommen, die überfüllten Lager auf Lesbos und anderen Ägäis-Inseln zu entlasten. Im März vegetierten in Moria noch etwa 20’000 Menschen, rund 8000 mehr also als in jüngster Zeit - auch dank der inzwischen deutlich beschleunigten Asylverfahren. Doch Kritiker bemängeln seit langem, dass die anerkannten Flüchtlinge dann zu wenig Unterstützung bei der Suche nach Unterschlupf und Arbeit erhalten - viele von ihnen versammelten sich deshalb an Orten wie dem Viktoria-Platz in Athen, um dort zu campieren. Der Organisation Médecins sans Frontières (MSF) zufolge waren darunter auch schwangere Frauen, Chronischkranke und psychisch Traumatisierte.

Dass nun also jemand, der offiziell die Erlaubnis hatte, das Lager auf Lesbos zu verlassen, nach einiger Zeit in der Hauptstadt freiwillig in den «Dschungel» von Moria zurückgekehrt ist, spricht nach Ansicht von Kritikern Bände über die Zustände auf den Strassen von Athen. Und der Fall des 40-jährigen Mannes aus Somalia, der dort als Corona-Infizierter angekommen ist, bestätigt auf bittere Weise die Warnungen von MSF vor zwei Monaten: «Inmitten einer globalen Pandemie sollten Regierungen Menschen, die unter einem hohen Covid-19-Risiko stehen, schützen, statt hinaus auf die Strasse zu werfen», hatte eine leitende Mitarbeiterin der Organisation erklärt.

Am Dienstag waren es dann bereits 35 offiziell bestätigte Corona-Infektionen in Moria. Nachdem die Behörden daraufhin anordneten, die Infizierten und deren Kontaktpersonen zu isolieren, brachen Berichten zufolge Proteste los.

Die Nerven liegen blank
Griechenlands Premierminister Kyriakos Mitsotakis machte denn auch in einer Fernsehansprache gestern klar, wo er die Brandstifter vermutet: Es könne «keine Ausreden geben für gewalttätige Reaktionen aufgrund von Gesundheitskontrollen», sagte er und verwies auf Berichte der Feuerwehr, wonach Migranten versucht hätten, die Feuerwehr am Löschen der Brände zu hindern. Zugleich appellierte Mitsotakis an die anderen EU-Staaten, die mitverantwortlich dafür seien, die Notlage zu lösen: «Es ist ein Thema der öffentlichen Gesundheit, des Humanismus, aber auch der nationalen Sicherheit», sagte er. Man werde jene, die vor dem Feuer geflüchtet seien, daran hindern, die Insel zu verlassen, fügte der Regierungschef hinzu - aber auch die einheimische Bevölkerung müsse mit Einschränkungen rechnen, damit sich das Virus nun nicht weiter verbreite.

Auch ausserhalb des Lagers liegen auf Lesbos seit längerem die Nerven blank - nicht zuletzt weil schon vor dem Ausbruch im Flüchtlingscamp die Corona-Ansteckungszahlen unter Einheimischen zugenommen hatten. Flüchtlingshelfer hatten bereits vor längerer Zeit gewarnt, eine Covid-Ausbruch in Moria könnte den Volkszorn auf Lesbos zum Überkochen bringen.

Das UNO-Flüchtlingshilfswerk erklärte gestern, man habe bereits vor den Bränden «Spannungen» zwischen Migranten und Anwohnern umliegender Gemeinden registriert. Die Organisation rief alle Beteiligten zu «Zurückhaltung» auf. Jene, die vor den Bränden geflohen seien, müssten «ihre Bewegungen beschränken» und in der Nähe des Camps bleiben; man arbeite an einer «vorübergehenden Lösung», um ihnen Unterschlupf zu verschaffen.

Die gewaltsamen Ausschreitungen gegen Migranten, humanitäre Helfer und Journalisten Anfang März waren von den Ankündigungen der Athener Regierung befeuert worden, auf Lesbos und anderen Inseln neue, geschlossene Lager für Migranten zu errichten. Viele Inselbewohner sahen in den Plänen ein Szenario, in dem ihre Inseln dauerhaft zum Abladeplatz für Europas Flüchtlingsproblem ausgebaut würden. Humanitäre Helfer dagegen kritisierten die Pläne aus anderen Gründen: Sie fürchten, solche geschlossenen Aufnahmezentren würden de facto als «Freiluftgefängnisse» fungieren.

Suche nach Unterkünften
Nach der Katastrophe auf Lesbos räumte der stellvertretende Minister für Migration, Giorgos Koumoutsakos ein, man habe es mit einer «beispiellosen humanitären Krise zu tun». Man werde sich bemühen, schnellstmöglich sichere Unterkünfte für besonders verwundbare Personen zu finden, sagte er am Mittwoch, zunächst werde man 408 unbegleitete Minderjährige aufs Festland überführen. Eine Vielzahl von Hilfsorganisationen äusserte scharfe Kritik an den Zuständen in Moria: Eine Mitarbeiterin der Gemeinschaft Sant’Egidio nannte die Brandkatastrophe eine «Katastrophe mit Ansage». Derzeit könne man weder Lebensmitel noch Kleidung zu den Betroffenen bringen, da die Sicherheitskräfte das Areal um Moria abgeriegelt hätten.
_________

Bern nimmt 20 Flüchtlinge auf
Nach den Bränden im Flüchtlingslager Moria will die Stadt Bern 20 Flüchtlinge aufnehmen. Das gab der Gemeinderat gestern bekannt. Er fordert die Bundes behörden in einer Mitteilung dazu auf, «die Direktaufnahme von Flüchtlingen jetzt zuzulassen». Auf nationaler Ebene appellieren die Grünen und die SP an den Bundesrat, «rasch ein Flüchtlingskontingent» aufzunehmen und Hilfe vor Ort zu leisten. Beide Parteien kündigen an, in dieser Herbstsession Vorstösse einzureichen. Auch in mehreren europäischen Ländern und Regionen gibt es Bestrebungen, Geflüchtete aus Moria auf zunehmen. So stellt das deutsche Bundesland Nordrhein-Westfalen die Aufnahme von tausend Flüchtlingen in Aussicht. «Die schreck lichen Bilder des brennenden Moria müssen Europa endlich wach rütteln», schrieb Ministerpräsident Armin Lasche. (red)

"Wir MÜSSEN das schaffen", hätte Angela Merkel sagen müssen."  Die Hauptschuldigen mit ihrem Stellvertreterkrieg, sind Russland und die USA. Mit den Waffenlieferungen sind jedoch weder die Schweiz noch einige EU-Staaten unschuldig. Nun wäscht sich z.B. Trumps Amerika die Hände und nimmt keinen einzigen Flüchtling auf. Deutschland kreide ich an, dass die Bundesbank die Exportkredite der deutschen Banken für die U-Bootlieferungen an Griechenland zum Nominal- anstatt zum Marktwert übernahm und somit die Verluste, die die Aktionäre der Deutschen Bank , Commerzbank & Co. hätten tragen müssen, sozialisiert hat. Weil man das den Steuerzahler*innen (was für eine Sprachverhunzung), nicht zugeben wollte, hat die EU unter Federführung von "Schäuble, Schäuble Häusle baue", Griechenland knallhart dazu gezwungen, ihrTafelsilber zu veräussern. Die Chinesen kauftens gern für den Preis eines Butterbrotes. Und jetzt lässt man Griechenland aber auch Italien einfach hängen und beruft sich auf das unselige Dubliner Übereinkommen, das bei Massenflüchlingsströmen einfach nichts mehr taugt. Dass Ungarn & Co. die Grenzen schliesst, dafür habe ich sogar ein klein bisschen Verständnis: Diese haben keine Waffen in die Kriegsgebiete geliefert. (Auch Griechenland hat einen grossen Fehler gemacht, dass es untendurch muss, die Reeder zahlten praktisch keine Steuern?:
https://www.blick.ch/news/ausland/staatsschulden-warum-lassen-die-reeder-griechenland-im-stich-id3456434.html
Joggeli
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Monika56
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Do Sep 10, 2020 11:11 am
Lieber Joggeli,

NRW will laut von Ministerpräsdent Laschet 1.000 Flüchtlinge aufnehmen.
Das Verhalten der EU ist beschämend. Ungarn und Polen wollen nicht einen einzigen Flüchtling aufnehmen. Kassieren aber von der EU viel Geld.

Ob der Brand gelegt worden ist oder nicht. Es handelt sich hier um Menschen, die zusammengepfercht wie in einem ehemaligen KZ leben.
Es müssen wir alle Seiten endlich Lösungen her. So kann es nicht weitergehen.

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joggelich
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Do Sep 10, 2020 5:37 pm
Liebe Moni,

Das edelt Deutschland. Leider ist nicht damit zu rechnen, dass Deutschland viele Nachahmer finden wird:

Nach dem Grossbrand von Moria sind die Fronten in der europäischen Flüchtlingspolitik verhärtet
Das ist passiert: Das Feuer im griechischen Flüchtlingslager von Moria hat eine humanitäre Katastrophe ausgelöst, doch wie es für die knapp 13 000 Bewohner, die alle obdachlos geworden sind, nun weitergehen soll, ist in Europa umstritten. Zwar betonten die EU-Kommission und mehrere Mitgliedländer ihre Solidarität mit Griechenland und boten Hilfe an. Wien und Den Haag machten aber auch rasch klar, dass sie keine Migranten aufnehmen wollten. In Ländern wie Spanien, Italien, Frankreich oder Grossbritannien löste der Brand kaum Betroffenheit aus; vielen Zeitungen war das Feuer nur eine Randnotiz wert.

Herzliche Grüsse
Joggeli


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joggelich
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Do Sep 10, 2020 5:49 pm
Die AfS (auch SVP) motzt schon wiederStadt

Bern will 20 Flüchtende aus Moria aufnehmen – das freut nicht alle

Nach dem Grossbrand im Flüchtlingslager Moria will die Stadt Bern 20 Flüchtende aufnehmen. Für den Berner SVP-Präsidenten ist dies ein «billiger Wahlkampfstunt».

https://www.watson.ch/schweiz/bern/756681221-stadt-bern-will-fluechtende-aus-moria-aufnehmen

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Monika56
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Do Sep 10, 2020 6:34 pm
Lieber Joggeli,

hier berichten die Medien ausführlich über das Drama.
Das ist wirklich eine taurige Diskussion, die im Moment vorherrscht.

Moni
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Fr Sep 11, 2020 2:29 pm
Anschuldigungen aus Athen
Die Katastrophe von Moria Nach dem verheerenden Brand des Flüchtlingslagers zeigt sich die griechische Regierung nicht besonders mitfühlend. Die EU-Migrationskommissarin ist jedoch optimistisch, dass dieses Desaster endlich etwas bewegt.

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«Ein bisschen optimistisch»: Ylva Johansson. Foto: AP

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Obdachlos: Flüchtlinge schlafen auf der Strasse in der Nähe der griechischen Stadt Mytilene. Foto: Milos Bicanski (Getty Images)

Karoline Meta Beisel, Brüssel, und Tobias Zick, Athen


Am Tag danach ist aus Sicht der griechischen Regierung offenbar klar, wer die Schuld an der Katastrophe trägt. Einige Leute «respektieren nicht das Land, das sie beherbergt», sagte Stelios Petsas am Donnerstag. Während der Regierungssprecher dies in Athen erklärte, irrten auf der Insel Lesbos Tausende Migranten auf der Suche nach Unterschlupf umher, die vor den Bränden der beiden vergangenen Nächte geflüchtet waren. Das Feuer hatte weite Teile von Europas grösstem Flüchtlingslager Moria zerstört.

Belege dafür, wer die Brände gelegt hat, präsentierte Stelios nicht, dafür eine Reihe Anschuldigungen. «Sie dachten, wenn sie Moria in Brand stecken, dann könnten sie allesamt die Insel verlassen», wetterte er. «Das können sie vergessen.» Lediglich unbegleitete Minderjährige habe man bereits aufs Festland gebracht, was die EU-Kommission in Brüssel bestätigte. Auf die Frage, ob die Regierung denn nicht auch eine Verantwortung an der Katastrophe trage, erwiderte Stelios: Ja, vielleicht habe man nicht entschlossen genug den geplanten Bau neuer, geschlossener Lager vorangetrieben. Exakt diese Pläne hatten schon vor Monaten den Unmut vieler Insulaner geschürt - bis hin zu gewaltsamen Ausschreitungen gegen Geflüchtete, Helfer und Journalisten.

Der nächste Brand
Allzu viele neue Freunde dürfte sich Stelios auch mit einer weiteren Aussage nicht gemacht haben: Die lokalen Behörden müssten nun ihren Teil der Verantwortung übernehmen, um Unterkünfte für jene zu schaffen, die das Feuer vertrieben hat. Kurz nach der Pressekonferenz brach auf Lesbos der nächste Brand aus. Auch die Zelte, die in den beiden Nächten zuvor verschont geblieben waren, gingen nun in Flammen auf.

EU-Migrationskommissarin Ylva Johansson hatte im Frühjahr gesagt, sie hoffe, dass Migration irgendwann zu einem technischen, langweiligen Thema werde, und die Debatte entpolitisiert werden könne. Der Brand in Moria hat das unwahrscheinlicher gemacht. Stattdessen rückt er die europäische Asylpolitik - genauer: das Fehlen derselben - wieder ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Dass es der vorherigen EU-Kommission nach 2015 nicht gelungen sei, bei dem Thema einen Kompromiss zu finden, sei ein Teil des Problems auf Moria, sagt auch Johansson am Donnerstag im Gespräch. Die Mitgliedsstaaten hatten sich damals vor allem über die Frage zerstritten, ob jedes Land verpflichtet werden soll, Flüchtlinge aufzunehmen - wozu auch heute nicht alle Staaten bereit sind.

Am 30. September will Johansson ein neues Konzept präsentieren, und sie ist «ein bisschen optimistisch», dass der Kompromiss jetzt gelingen könnte: «Ja, Mitgliedsstaaten haben unterschiedliche ideo-

"Jeder versteht,
dass wir
einaner helfen
müssen"

Ylva Johansson
EU- Komissarin

logische Einstellungen zur Migration, aber wichtiger ist, dass jeder Staat es auch mit anderen Realitäten zu tun hat», sagt Johansson. «Jeder versteht, dass wir einander helfen müssen. Aber die Mitgliedsstaaten müssen auch verstehen, dass sie auch Hilfe von den anderen bekommen können.»

Ohne Bleibeperspektive
Ihr Optimismus dürfte auch damit zu tun haben, dass von einer verpflichtenden Verteilung nicht mehr die Rede ist. Auch Rats präsident Charles Michel sagte kürzlich, eine verpflichtende Verteilung sei «nicht das A und O der Migrationsdebatte». Stattdessen geht man in Brüssel jetzt davon aus, dass zwar alle Mitglieder verpflichtet werden, sich am EU-Asylsystem zu beteiligen, aber nicht zwingend, indem sie Menschen aufnehmen - ein Prinzip, das unter dem Schlagwort «verpflichtende Solidarität» bekannt wurde.

Dabei soll der Beitrag jener Staaten, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, davon abhängen, was besonders belastete Staaten am ehesten hilft. Malta zum Beispiel beherbergt viele Migranten ohne Bleibeperspektive, denen die Dokumente fehlen, die es für die Rückführung braucht. In solchen Fällen könnten andere Mitgliedsstaaten helfen, die nötigen Papiere zu beschaffen. Sich durch eine Zahlung von dem Thema einfach freizukaufen, wäre demzufolge vermutlich nicht möglich.

Johansson sagte, ihr Plan werde ein neues Verfahren vorschlagen, um illegale Pushbacks an den Aussengrenzen zu erfassen, wollte den Inhalt ihres Plans am Donnerstag ansonsten aber nicht kommentieren. Freiwillige Zusagen seien jedoch nicht genug, das zeige auch der Streit um die Verteilung von Menschen, die auf dem Mittelmeer aus Seenot gerettet werden. Kommissions- Vizepräsident Margaritis Schinas hatte als weitere Elemente genannt, es werde darum gehen, besser mit Nachbarländern zusammenzuarbeiten, um die Migration zu steuern und die Aussengrenze stärker zu kontrollieren.

Ein weiteres Element dürfte darin bestehen, das Tempo von Rückführungen zu erhöhen. Anders als während der Krise 2015, als ein Grossteil der Ankommenden tatsächlich Flüchtlinge waren, erreichen heute viele Menschen die EU, die keine Bleibeperspektive haben. Auch in Moria lebten der Kommission zufolge Menschen, die nach einem negativen Asylbescheid eigentlich zurück in ihre Heimat hätten reisen sollen.

Bei allem Optimismus: Auch Johansson glaubt nicht, dass ihr Vorschlag Ende September bei den Mitgliedsstaaten nur auf Gegenliebe stossen wird: «Meine Einschätzung ist, dass niemand mit meinen Ideen zufrieden sein wird. Aber ich hoffe, dass jeder sieht, dass wir alles unternommen haben, um einen Kompromiss zu finden, und dass der es wert ist, diskutiert zu werden.»
__________

Alle gegen Seehofer

Fünf Jahre nach der Flüchtlingskrise lebt die deutsche «Willkommenskultur» immer noch. Am Mittwochabend demonstrierten in Berlin, Hamburg und vielen anderen Städten Tausende von Menschen und forderten ihre Regierungen auf, Flüchtlingen von den griechischen Inseln in Deutschland Schutz anzubieten.

Viele Städte und mehrere Bundesländer sicherten zu, insgesamt Tausende von Migranten aufzunehmen. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet versprach sofortige Hilfe für die Migranten auf Lesbos und 1000 Aufnahmeplätze an Rhein und Ruhr. Auch die rot-rot-grünen Regierungen von Thüringen und Berlin sowie die rot-grüne von Hamburg wollen helfen.

Am Donnerstag forderte schliesslich auch ein Dutzend Politiker von CDU und CSU Solidarität: Deutschland solle 5000 Flüchtlinge aus Lesbos aufnehmen, möglichst gemeinsam mit anderen europäischen Staaten, notfalls aber auch allein. Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte, Bayern werde sich «selbstverständlich beteiligen», falls die Bundesregierung einer Aufnahme zustimme.

Danach sah es aber auch am zweiten Tag nach dem verheerenden Brand von Moria vorerst nicht aus. Das Innenministerium bot Griechenland zwar alle mögliche Hilfe vor Ort an, verbietet den Bundesländern oder Städten aber weiterhin eine Aufnahme von Flüchtlingen über die genehmigten Kontingente hinaus.

Horst Seehofers Entscheid wurde von vielen Politikern sogleich als «unerträgliche Blockadehaltung» kritisiert. Das Innenministerium stellt sich hingegen auf den Standpunkt, dass nun eine solidarische europäische Hilfsaktion nötig sei, kein neuerlicher Alleingang Deutschlands.

Merkels Forderung
Seehofer weiss sich dabei gestützt von Angela Merkel (CDU). Kürzlich hatte die Kanzlerin nochmals ihre Haltung erläutert: «Es ist sehr anerkennenswert, dass es Bundesländer und Kommunen gibt, die sagen: Wir würden gerne mehr Flüchtlinge aufnehmen. Wenn sich aber in Europa herumspricht, dass alle Flüchtlinge, die jetzt zur Debatte stehen, von Deutschland aufgenommen werden, werden wir nie eine europäische Lösung bekommen.»

Am Donnerstag gab es eine erste Geste der europäischen Solidarität: Der französische Präsident Emmanuel Macron teilte mit, er habe sich mit Merkel darauf geeinigt, mehr minderjährige unbegleitete Flüchtlinge aus Moria aufzunehmen. Möglichst mit weiteren Ländern zusammen, natürlich.

Dominique Eigenmann, Berlin; BaZ 11-09.2020

Auch Bundesrätin Keller-Sutter gibt bekannt, dass die 8 grössten Schweizer Städte - obwohl es in den Asylunterkünften noch frei Plätze hat -, Flüchtlinge nicht direkt aufzunehmen. "Hilfe vor Ort" sei geboten.
(Ich hoffe, dass dies ein taktisches Manöver ist, um ja den Initianten der Durchsetzungsiniative zur  "Ausschaffungsiniative" nicht Munition zu liefern. Was spricht dagegen, Hilfe vor Ort zu leisten, wenn die Städte  beispielsweise Minderjährige, die ohne ihre Eltern flüchteten, aufnehmen? Das Ganze mahnt mich an rechtsauss Glarner, der mit einer armen  Gemeine einen Verbund schloss, die gegen „schnöden Mammon“ das Kontingent von Glarners Gemeinde aufnahm:
https://www.blick.ch/news/schweiz/mittelland/fluechtlinge-liegen-uns-ewig-auf-der-tasche-svp-glarner-schockiert-die-ard-id4188263.html
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So Sep 13, 2020 11:56 am
Kolumne von Tamara Funiciello
Für Büezer*innen statt Bonzen
Die Schweiz verdankt der Personenfreizügigkeit zwei herausragende Errungenschaften, von denen heute die Allgemeinheit profitiert.

MEINUNG Tamara Funiciello, Sonntagszeitung 13.09.2020

Schweiz und die EU; EU intern 1po3_aakk3ubgyxvz5zio29jd0
Kommen die unteren Löhne ins Rutschen, sinken alle Löhne: Bauarbeiter bei Sanierungsarbeiten am Saaneviadukt auf der Strecke Bern–Neuenburg (22. Juli 2020).
Foto: Anthony Anex (Keystone)


Als mein Vater in den 70er-Jahren seine Stelle in der Schweiz antrat, war der Schweizer Arbeitsmarkt folgendermassen organisiert: Büezer, die hierherkamen, hatten nahezu keine Rechte. Sie durften ihre Stelle nicht wechseln, ihre Familien nicht mitnehmen und mussten jedes Jahr zurückkehren und dann wieder eine neue Arbeitsbewilligung erhalten. Die Büezer bauten Strassen und Häuser in der Schweiz, aber wohnten in überfüllten Baracken unter miserablen Umständen.

Die Folgen dieser Entrechtung waren: zum Beispiel «verbotene» Kinder, die sich in Schränken versteckten, und ausbeuterische Arbeitsbedingungen. Weil die Saisonniers keine Rechte hatten, konnten sie sich nicht wehren. Das führte zu Lohndruck und Lohndumping. Und zwar für alle Büezerinnen in der Schweiz: Die Löhne sind nur so stark wie das schwächste Glied in der Kette. Kommen die unteren Löhne ins Rutschen, sinken alle Löhne. Genau das passierte.

Statt von der «Begrenzungsinitiative» müssten wir eigentlich von der «Lohndumping-Initiative» sprechen.

Die Wende kam erst mit der Einführung der Personenfreizügigkeit, verbunden mit umfassenden Lohnschutzmassnahmen (besser bekannt als «flankierende Massnahmen»). Erstmals gab es in der Schweiz verbindlich vorgeschriebene Mindestlöhne, mehr Lohnkontrollen, allgemeinverbindliche Gesamtarbeitsverträge und Sanktionen bei Verstössen gegen die Lohnschutzmassnahmen. Ganz konkret führte das zum Beispiel dazu, dass sich die weitverbreitete Schwarzarbeit – die den Lohndruck und das Lohndumping weiter verstärkte – mit der Einführung der Personenfreizügigkeit halbierte.


"Statt
von der
'Begrenzuns-
iniative'
müssten wir
von der "Lohn-
dumping-
Iniative'
sprechen"



Kurz: Besserer Lohnschutz für alle, weniger Diskriminierung, mehr Kontrollen.

Der SVP ist all das ein Dorn im Auge. Die SVP will, dass weiterhin die Büezer die Profite für die Bonzen erarbeiten – aber bitte ohne Lohnschutzmassnahmen und ohne Rechte. Die grösste Lüge im Abstimmungskampf zur «Begrenzungsinitiative» ist, dass es ihr um weniger Zuwanderung gehe. Darum geht es nicht. Es geht ihr um die Abschaffung der Lohnschutzmassnahmen, darum, die Büezerinnen gegeneinander auszuspielen. Eigentlich müssten wir von der «Lohndumping-Initiative» sprechen.

Die Migrationsgeschichte der Schweiz hat letzten Endes also nicht nur zu einer Emanzipation der Büezer gegenüber dem Staat und gegenüber den Arbeitgebern geführt, auch in einem ganz anderen Bereich stärkte die Migration die Rechte und Freiheiten von uns allen, vor allem aber der Büezerinnen: Nach dem Zweiten Weltkrieg waren drei Viertel der erwerbstätigen Frauen Migrantinnen. Und weil diese kein familiäres Netz in der Schweiz hatten, führte das zu einem Ausbau der Krippenplätze in der Schweiz.

Neben dem Ausbau dieser Infrastruktur, ohne den die (trotzdem noch immer unzureichende) Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht denkbar wäre, normalisierte das erstmals die ausserfamiliäre Kinderbetreuung. Also die Idee, dass Kinder zu erziehen nicht einfach eine Aufgabe von Privaten, sondern von uns allen ist. Entsprechend sollten Kinderkrippen auch von allen finanziert für alle zur Verfügung stehen. Der Weg dahin ist hoffentlich kürzer als der vom Saisonnierstatut bis zur Einführung der Personenfreizügigkeit.

Tamara Funiciello ist Nationalrätin und eine der Vizepräsidentinnen der SP Schweiz.
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Do Sep 17, 2020 12:32 pm
Aus Angst vor Nachahmungs-Brandstiftern
Griechenland lässt Moria-Flüchtlinge nicht ziehen

Deutschland wäre bereit, Schweizer Städte wären bereit: Doch zur Aufnahme von Flüchtlingen aus dem abgebrannten Moria-Lager auf Lesbos kommt es vermutlich gar nicht. Die Griechen behalten die Migranten zurück, um sie nicht zu weiteren Brandanschlägen zu motivieren.

https://www.blick.ch/news/ausland/aus-angst-vor-nachahmungs-brandstiftern-griechenland-laesst-moria-fluechtlinge-nicht-ziehen-id16097259.html?utm_source=BLICK%2BNewsletter&utm_campaign=1c24cc6272-EMAIL_CAMPAIGN_2020_09_17_02_38&utm_medium=email&utm_term=0_e3faa554f0-1c24cc6272-218015805

So unbegründet ist die Angst nicht. Dann hilft doch nur die nachhaltigste, aber nicht akut notwendigste Hilfe, die Hilfe vor Ort. Joggeli
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Sa Sep 19, 2020 10:05 am
Schändlich, aber aufgepasst vor Verallgemeinerungen:

29 Polizisten teilten Bilder von einem Flüchtling in der Gaskammer

Neonazis in Uniform Fast eine gesamte Dienstgruppe samt Chef ist im Ruhrgebiet suspendiert worden.

Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul war sichtbar erschüttert, als er gestern in Düsseldorf den Medien schlechte Nachrichten überbrachte. Von einer «Schande für die Polizei» sprach der Christdemokrat und davon, dass die Staatsgewalt durch die Vorwürfe «bis ins Mark» getroffen werde. Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat stehe infrage.

200 Polizisten hatten am Morgen im Ruhrgebiet drei Dutzend Wohnungen und Dienststellen durchsucht - und dabei ausnahmsweise gegen Berufskollegen ermittelt. Bei 29 Polizisten bestehe der Verdacht, so Reul, dass sie in privaten Chatgruppen rechtsextreme Propaganda geteilt hätten. Etwa die Hälfte der Polizisten habe aktiv mitgewirkt, die andere Hälfte die Beiträge wahrscheinlich nur gelesen.

Es gehe nicht um Lappalien, sondern um «übelste und widerwärtigste Hetze»: Hitler-Bilder, Hakenkreuze, aber beispiels weise auch die fiktive Darstellung eines Flüchtlings in einer Gaskammer.

Alle 29 Polizisten seien am Morgen vom Dienst suspendiert worden. Mindestens 14 Beamte sollen aus dem Dienst entfernt werden, gegen 11 läuft bereits ein Verfahren wegen «Volksverhetzung». 25 der 29 Beamten gehörten einer einzelnen Schutzgruppe in Mülheim an der Ruhr an. Auch der Dienstgruppenleiter war an den Chats beteiligt.

Durch Zufall entdeckt
Auf die Gruppe gestossen war man durch Zufall. Ermittler hatten ein privates Handy eines Polizisten beschlagnahmt, den sie verdächtigten, Dienstgeheimnisse an Journalisten weitergegeben zu haben. Auf dem Handy fanden sie dann die Chats. Reul erwartet, dass die Auswertungen weiterer Handys die Zahl der Verdächtigen noch erhöhen werde.

In den letzten zwei Jahren hatten sich Meldungen über Rechtsextreme bei der Polizei stark gehäuft. Seit Monaten werden linke Künstlerinnen, Politikerinnen und Anwältinnen unter dem Titel «NSU 2.0» bedroht, die Schreiben stammen wahrscheinlich aus Polizeikreisen. In Frankfurt am Main, in Baden-Württemberg und in München wurden zuletzt Chatgruppen bekannt, in denen mehrere Dutzend aktive und ehemalige Polizisten rassistische und antisemitische Propaganda verbreiteten.

Seit in Deutschland Innenministerium und Verfassungsschutz den Rechtsextremismus als derzeit grösste Bedrohung identifiziert haben, wird auch bei Polizei und Armee genauer hingeschaut. Die Folge ist, dass immer mehr Fälle bekannt werden. Bei der Polizei sollen es 400 sein, die seit 2014 aufgedeckt wurden, schrieb der «Spiegel» kürzlich.

«Das sind keine Einzelfälle mehr», sagte Reul über sein eigenes Bundesland, da müsse man künftig noch genauer hinsehen. Er habe deswegen bereits eine Sonderinspektion des am meisten betroffenen Präsidiums in Auftrag gegeben und werde zudem einen Sonderbeauftragten für Rechtsextremismus in der Polizei ernennen. «Für Rechtsextremisten gilt auch in der Polizei null Toleranz», so Reul. Das sei man nicht zuletzt den mehr als 50’000 übrigen Polizisten in Nordrhein-Westfalen schuldig, die fest auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ihren Dienst tun.

Dominique Eigenmann, Berlin; BaZ 17.09.2020
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Mo Sep 21, 2020 5:52 pm
Basler Reeder rettet Dresdens Kulturgut

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Die Weisse Flotte gehört zum festen Stadtbild in Dresden. Foto: Michael Schmid

Schweiz und die EU; EU intern 2crkiq
Robert Straubhaar, Selfmade-Millionär mit Sozialkompetenz.


Älteste Raddampfer der Welt Die Sächsische Dampfschifffahrt hat mit Robert Straubhaar einen neuen Besitzer bekommen. Die Dresdner danken dem Investor für sein Eingreifen mit einer besonderen Geste.

Kurt Tschan, BaZ 21.09.2020

Nachdem der Basler Reeder Robert Straubhaar (59) Anfang September die Weisse Flotte aus der Konkursmasse erworben hat, wird er in Dresden gefeiert wie ein Volksheld. Bei ihrer ersten Fahrt nach dem Kauf hisste der älteste Schaufelraddampfer der Flotte, die «Stadt Wehlen», kurzerhand die Schweizer Flagge - ein Willkommensgruss der besonderen Art.

«Wir haben die Flotte nicht gekauft, sie wurde uns anvertraut», sagt Straubhaar bescheiden. «Die Dresdner sehen diese Flotte als einen Teil ihrer Identität, so wie die Semperoper, die Frauenkirche und den Zwinger.»

Straubhaar spricht von einer Ehe, die er mit der Sächsischen Dampfschifffahrt eingegangen sei. Er gibt aber auch zu: «Wir streben deutlich mehr Umsätze als bisher an.» 2019 waren es 20 Millionen Euro. In zwei Jahren sollen es 35 Prozent mehr sein. Straubhaar zeigt sich davon überzeugt, dass die Weisse Flotte «einen angemessenen Deckungsbeitrag erwirtschaften wird». Alle 170 Beschäftigten will er an Bord behalten.

Mit dem Besitzerwechsel werden die Geschicke der neun historischen Raddampfer, die zwischen 1879 und 1929 gebaut wurden und damit die ältesten der Welt sind, von der Basler Nauenstrasse unweit des Bahnhofs SBB gelenkt. United Rivers betreibt hier als Marktführerin Passagierschiffe auf europäischen Binnengewässern für Schiffseigner und Reiseveranstalter. Zum Geschäft gehören der Bau von Schiffen, aber auch die Rekrutierung von Personal und die Charterver mittlung. Der Konzern besitzt 85 Schiffsanleger für 111 Schiffe im Management. Vor Covid-19 wurden pro Jahr zwei Millionen Passagiernächte abgerechnet und gleich viele Tagesausflugsgäste.

Tellerwäscherkarriere
Straubhaar ist ein schillernder Selfmade-Millionär, der es vom Schiffsjungen zum Kapitän und später, nach einem Abstecher ins Kultur- und Eventgeschäft als CEO des Kultur- und Kongresszentrums KKL in Luzern, zum erfolgreichen Unternehmer geschafft hat. Von 2005 bis 2006 war er CEO ad interim bei der Basler Personenschifffahrt-Gesellschaft. Bei der Schweizerischen Reederei & Neptun in Basel, der heutigen Rhenus-Gruppe, schaffte er es vom Matrosen bis zum Leiter der Hafenbetriebe.
United Rivers AG trat in Dresden als Käuferin auf und ist seit 2019 die Muttergesellschaft des schwimmenden Firmengeflechts von Straubhaar. Zu ihr gehört bereits eine andere historische Gesellschaft. Mit der 1826 gegründeten KD Köln-Düsseldorfer habe er bereits 2016 seine erste historische Ikone erwerben und erfolgreich weiterentwickeln können, sagt der frühere Oberstleutnant der Schweizer Armee.

Mit an Bord geholt hat sich Straubhaar in Dresden den gebürtigen Sachsen Stefan Bloch. Auch dieser hat gewissermassen eine Tellerwäscherkarriere hinter sich. Der 41-Jährige ist gelernter Koch und soll in operativer Hinsicht die Flotte, zu der auch zwei moderne Salonschiffe gehören, wieder zum Laufen bringen. Den Zustand der Flotte bezeichnet Straubhaar als «sehr gut». Einzig das Dampfschiff Krippen liege gegenwärtig in der Werft, da das Zertifikat erneuert werden müsse.

Die Weisse Flotte war nach zwei Niedrigwasserperioden auf Grund gelaufen. Bei den alten, erfolglosen Eigentümern handelte es sich um 500 Kommanditisten der GmbH & Co. KG sowie den Freistaat Sachsen. Ähnliches will Straubhaar vermeiden. «Unser Geschäftsmodell basiert nicht auf der Hoffnung, kein Niederwasser zu haben», sagt er. «Wir werden proaktiv mit einem Stufen-Fahrplan je nach Wasserstand und angepassten Niederwasserrundfahrten und Aktivitäten wie Lesungen, Kammerkonzerten sowie der Gastronomie die Attraktivitäts- und Umsatzverluste begrenzen.»

Der Kauf erfolgt zu einer Zeit, wo auch die Binnenschifffahrt wegen Covid-19 in einer tiefen Krise steckt. Davon sei auch die Weisse Flotte betroffen, räumt Straubhaar ein. Trotzdem sei Dresden aber «erfreulich gut besucht». Gesamthaft brachen die Umsätze von United Rivers im Vergleich zum Vorjahr um 90 Prozent ein. «Es ist uns aber bereits im März gelungen, die Liquidität bis Juni 2021 sicherzustellen», sagt Straubhaar. So hätten substanzielle Reserven aus guten Jahren zur Verfügung gestanden. Die restlichen Mittel habe die langjährige Hausbank zur Verfügung gestellt.

Es brauche keine hellseherischen Fähigkeiten, um zu behaupten, «dass diese unglaubliche Krise Zusammenschlüsse beschleunigt», sagt Straubhaar. Davon werde sein Unternehmen stark profitieren, wenn Wachstumsfinanzierung mit vernünftigen Zinsen noch möglich sei. Den Radar habe er aber nicht speziell auf Basel oder die Schweiz gestellt, sondern auf ganz Europa.

Wegen Fernweh nach Basel
Sich selber sieht der in Interlaken geborene Straubhaar in erster Linie nicht als Reeder, sondern als Unternehmer in der Schifffahrt und der Touristik. In nur 15 Jahren sei es ihm gelungen, vom «Ein-Mann-Start-up-Lädeli» zu einer erfolgreichen Gruppe mit 3000 Mitarbeitenden zu werden. Dabei beweist er durchaus Sozialkompetenz. Zusammen mit der weltweit aktiven Gewerkschaft Nautilus International mit Sitz in Basel unterzeichnete er vor knapp einem Jahr einen Pionier-Gesamtarbeitsvertrag. Dieser enthält angemessene Arbeitszeiten, Mindestlöhne, aber auch umfang reiche Transparenz.

Nach Basel brachte ihn 1977 sein Fernweh. Dafür meldete er sich an der Schifffahrtsschule an. Obwohl er später einiges von der Welt gesehen und in verschie denen Ländern gearbeitet und gewohnt habe, lebe er zusammengezählt bereits 30 Jahre hier. «Basel ist für mich eine grossartige Stadt und eine in jeder Beziehung wunderbare Region», sagt er. «Besonders die vielen gebildeten und vornehm zurückhaltenden Menschen haben es mir angetan.»
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Fr Sep 25, 2020 10:46 am
Bundeshaus-Insider sind sich einig
Das Rahmenabkommen ist chancenlos!
Nach dem Abstimmungssonntag kommt das Rahmenabkommen mit der EU wieder auf den Tisch. Doch während die SVP warnt, dass der Bundesrat schnell Nägel mit Köpfen machen wolle, zeigen BLICK-Recherchen: Von einer Lösung ist man weit entfernt.
https://www.blick.ch/politik/bundeshaus-insider-sind-sich-einig-das-rahmenabkommen-ist-chancenlos-id16111382.html?utm_source=BLICK%2BNewsletter&utm_campaign=b9365260c5-EMAIL_CAMPAIGN_2020_09_25_03_47&utm_medium=email&utm_term=0_e3faa554f0-b9365260c5-218015805

Da gibt es noch viele Knackpunkte zu lösen, wie Lohnschutz, der für die Schweizer und die Ausländer mit ständigem Wohnschutz unverzichtbar ist, die Klärungen was die Unionsbürgerschaft für die Schweiz bedeutet und was die "Staatlichen Beihilfen" betrifft, ist das für die Kantone ein "no.go". Joggeli
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Fr Sep 25, 2020 11:47 am
Wegen Brexit mehrfach bestraft
Teures EU-Forschungsprogramm Sechs Milliarden soll die Schweiz an Horizon zahlen. Doch der Zugang ihrer Forscher zum EU-Prestigeprojekt wird immer schlechter.

Schweiz und die EU; EU intern 1a5k5a
Innovativ: Eine Drohne für sensible Güter auf dem Gelände der ETH Lausanne. Foto: Valentin Flauraud (Keystone)

Stephan Israel, Brüssel, BaZ 25.09.2020


Das Schweizer Eintrittsgeld zu Europas Prestigeprojekt wäre eigentlich auf gutem Weg. Der Ständerat hat gestern als Erstrat die notwendigen Gelder für Horizon Europe in der Höhe von rund sechs Milliarden Franken gesprochen. Doch unter welchen Bedingungen die Schweizer Forscherinnen und Forscher am Ende am über 80 Milliarden Euro schweren EU-Forschungsprogramm teilnehmen können, ist derzeit alles andere als klar. Die EU erwägt neue Konditionen, die es für die Schweiz im Extremfall unattraktiv machen könnten, überhaupt anzudocken. Das hat auch den Bundesrat aufgeschreckt, der in seiner Sitzung heute über Horizon berät.

Statt eines unkomplizierten Assoziierungsvertrags wie bisher sollen Drittstaaten wie die Schweiz eine Art Dachabkommen abschliessen müssen, eine neue Rechtsgrundlage für alle Beteiligungen an EU-Programmen. Um ein solches komplexeres Dachabkommen abschliessen zu können, bräuchte der Bundesrat ein neues Verhandlungsmandat, und am Ende stünde ein internationaler Vertrag, der vom Parlament genehmigt und eventuell in einem Referendum bestehen müsste.

Neue Teilnahmegebühr
Im Prinzip soll Horizon Europe am 1. Januar 2021 nahtlos anschliessen können, wenn das bisherige Forschungsprogramm Horizon 2020 ausläuft. Wenn die EU in den Beratungen zwischen Kommission, Mitgliedstaaten und Parlament bei der neuen Rechtsgrundlage für die Assoziierung von Drittstaaten bleibt, wird die Schweiz nur mit grosser Verzögerung überhaupt einsteigen können. Vor 2023 oder 2024 würden Schweizer Forscher wohl kaum ihre Anträge einreichen oder sich an europäischen Projekten beteiligen können, also erst etwa zur Hälfte der Laufzeit von Horizon Europe. Und auf die Schweiz könnte noch eine weitere Forderung zukommen, die den Preis zusätzlich hochtreiben würde. In den Verhandlungen mit den Briten verlangt die EU-Kommission einen Aufschlag in Form einer Teilnahmegebühr von sieben Prozent, die in den EU-Haushalt fliessen soll. Als indirekter Beitrag für die Kohäsionspolitik der EU.

Dabei war die Ausgangslage schon vor den neuen Hürden weniger vorteilhaft als bei den bisherigen siebenjährigen Forschungsprogrammen. So ist die Schweiz nicht mehr zusammen mit den EWR-Staaten in der zweiten Kategorie der assoziierten Länder, sondern in einer neuen, vierten Gruppe mit Drittstaaten wie Israel, Kanada, Japan und Grossbritannien. Die neue Einteilung wurde nach dem Brexit vor allem mit Blick auf den britischen Forschungsplatz vorgenommen. Die Schweiz hat sich vergeblich dagegen gewehrt. Nur eine überraschende Einigung beim institutionellen Rahmenabkommen könnte hier vielleicht noch etwas ändern.

Neu wurde ebenfalls vor dem Hintergrund des Brexit das Prinzip «Pay as you go» eingeführt. Das bedeutet, dass Drittstaaten nicht mehr Gelder aus den Fördertöpfen beziehen können, als sie einzahlen.

Die Schweiz wird also wegen des Brexit gleich mehrfach bestraft. Für Verärgerung auf Schweizer Seite sorgt auch, dass assoziierte Drittstaaten aus der vierten Kategorie künftig von gewissen Programmen ausgeschlossen werden können. So soll das Forschungsprogramm prioritär das Wachstum in der EU fördern, und der Schutz der finanziellen Interessen der Union soll im Vordergrund stehen.

Forschung ist jetzt auch Industriepolitik. Anders als früher, als es bei den Programmen der EU hauptsächlich um Wettbewerb, die Förderung von Exzellenz und Spitzenforschung ging. Immer stärker mischt sich nun die Politik ein. Ob das die Position des Forschungsplatzes Europa stärkt, ist umstritten.

So soll das Forschungsprogramm prioritär das Wachstum in der EU fördern, und der Schutz der finanziellen Interessen der Union soll im Vordergrund stehen.
Neu wurde ebenfalls vor dem Hintergrund des Brexit das Prinzip «Pay as you go» eingeführt. Das bedeutet, dass Drittstaaten nicht mehr Gelder aus den Fördertöpfen beziehen können, als sie einzahlen.
Bis jetzt war eines der Argumente für das Rahmenabkommen (siehe Artikel oben), zu sein, damit wir nicht vom Europäischen Forschungsprogramm ausgeschlossen weren.
Die Schweiz wäre schön dumm, Milliarden Eintrittsgeld für ein Programm zu zahlen, dass primär den Zweck hat, das Wachstums der EU zu fördern (European Union 1st.), und falls Projekte einen Riesennutzen für die EU aufweisen, nicht mehr Fördergelder zu bekommen, als 6 Milliarden. Da wäre es lohnender wenn, wenn sie die "viertklassischen" Länder dem Programm alles gute ünschten und ein eigenes Programm auf die Füsse stellten. Wetten dass schon mehr Nobelpreisträger in Physik, Chemie, Medizin und Wirtschaft, aus der diesen Ländern gekommen sind, als aus der EU? Joggeli
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Di Sep 29, 2020 11:55 am
Hauchdünnes Ja im Kampfjet-Krimi - die Gegner zielen jetzt auf den US-Flieger
Abstimmung Der knappe Ausgang bestärkt die Armeekritiker. Sie erwägen eine neue Initiative.

Abstimmung Der knappe Ausgang bestärkt die Armeekritiker. Sie erwägen eine neue Initiative.

Schweiz und die EU; EU intern 1k8k65
Welches Flugzeugmodell angeschafft werden soll, ist umstritten - ein in die Jahre gekommener F/A-18-Jet bei einer Flugshow auf der Axalp nahe Meiringen. Foto: Peter Klaunzer (Keystone)

Beni Gafner, Christoph Lenz und Gregor Poletti, BaZ 28,09.2020


Verteidigungsministerin Viola Amherd musste gestern lange zittern. Bis kurz vor 17 Uhr. Dann stand fest: Sie hat gewonnen, denkbar knapp, gerade mal 8670 Stimmen machten den Unterschied. Das Volk sagt Ja zum 6 Milliarden teuren Rüstungsgeschäft. Doch noch heben die Kampfjets nicht ab: Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) werde prüfen, ob sie eine Volksinitiative gegen das konkrete Beschaffungsprojekt lancieren werde, droht GSoA-Generalsekretär Lewin Lempert. Nach dem Typenentscheid, der Mitte 2021 vorliegen dürfte, will die GSoA entscheiden, ob sie auch die Typenwahl an die Urne bringen will. Sollte das VBS auf einen Kampfjet aus den USA setzen, ist eine Volksinitiative programmiert, das zeigen die gestrigen Reaktionen bei den Linken und Grünen.
Linke siegt auf breiter Front

Musste die Linke bei den Kampfjets eine Niederlage einfahren, konnte sie bei allen anderen Vorlagen jubeln. Die Begrenzungsinitiative der SVP: abgeschmettert. Die von den Bürgerlichen geforderte Erhöhung der Kinderzulagen: chancenlos. Der zweiwöchige Vaterschaftsurlaub: unbestritten. Selbst dem Jagdgesetz erteilte das Stimmvolk eine Absage.

Die beiden Basel waren die einzigen Deutschschweizer Kantone, die Nein gesagt haben zu den Kampfjets. Der Stadtkanton mit knapp über 63 Prozent klar, Basel-Landschaft mit 50,3 Prozent nicht ganz so deutlich. Ein Nein gab es aus beiden Basel auch für die Begrenzungsinitiative, das Jagdgesetz und den Kinderabzug. Deutlich Ja sagten beide Kantone hingegen zum Vaterschaftsurlaub. In Basel-Stadt erhielt die Vorlage sogar über 71 Prozent Zustimmung, im Landkanton immerhin noch 59 Prozent.

Es ist in der Schweiz üblich, bei Iniativen resp. Reverenden die Wünsche der unterlegenen Stimmbürgerinnen und -bürger zu berücksichtigen. Ich glaube, dass auch bei vielen bürgerlichen Kreisen, ein Kampjet aus den USA tabu ist. Wir wissen ja nicht, wie sich die Staaten beim Unterhalt etc. verhalten würden, wenn die Schweiz die Kampfjets so einsetzt, wies den Amis nicht passt. Ausserdem wird sich in Sachen Verhältnis CH - EU die Beschaffung eines EU-Jets kaum negativ auswirken. Ein Grund für die Minderheit von 49.9% wird wohl auch daran gelegen haben, dass wir die Katze im Sack schlucken mussten. Eine Iniative der Armeegegner hätte leider den Nachteil dass es dazu ein Ständemehr bräuchte. Joggeli

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Fr Okt 02, 2020 10:32 am
Teures Debakel um die «Ausländer-Maut»
Autobahngebühr Verkehrsminister Scheuer kämpft um sein politisches Überleben.

Schweiz und die EU; EU intern Maut8akwu
Hat Andreas Scheuer (CSU) das Gesetz gebrochen? Foto: Reuters

Seit sieben Jahren nervt eine deutsche Autobahngebühr, die faktisch nur Ausländer hätten bezahlen müssen, Deutschland und seine Nachbarn. Die CSU hatte die Schildbürgerei ersonnen, der Europäische Gerichtshof sie versenkt, jetzt wird der Schaden bilanziert: Die Betreiber klagen eine halbe Milliarde Euro entgangene Gewinne ein. Und der Minister, der damals mit ihnen verhandelte, muss vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss beweisen, dass er weder gelogen noch Gesetze gebrochen hat.

Die «Ausländer-Maut» war während Jahren ein Lieblingsprojekt der bayerischen CSU. Der damalige Chef Horst Seehofer erfand sie 2013 im Wahlkampf und boxte sie nach gewonnener Wahl in den Koalitionsvertrag. Dabei hatte Kanzlerin Angela Merkel zuvor garantiert, dass es diese Maut mit ihr nicht geben werde.

Seehofer entsandte seinen treuen Knappen Alexander Dobrindt als Verkehrsminister nach Berlin, um das Versprechen umzusetzen. Drei Jahre später hatte nur noch die EU-Kommission Einwände; Dobrindt konnte diese aber in Verhandlungen mit Jean-Claude Juncker ausräumen. Dann klagte auf einmal Österreich. Im Juni 2019 gab der Europäische Gerichtshof Wien auf der ganzen Linie recht. Die Maut war tot - Merkel hatte am Ende sogar noch recht behalten.

Geheimverhandlungen
Andreas Scheuer, noch einer aus Seehofers Garde, hatte das Projekt von Dobrindt geerbt, als er diesem im März 2018 als Verkehrsminister folgte. Der damals 43-jährige Niederbayer, ein energischer «Bauchentscheider» und fröhlicher «Verkäufer», musste schon vor dem Veto aus Luxemburg feststellen, dass die Maut schwer umzusetzen war.

Aus dem Bieterwettbewerb der Unternehmen, die die geplante Maut eintreiben sollten, blieb am Ende nur ein einziges Konsortium übrig. Und das bot die Leistung für drei Milliarden Euro an statt für zwei, wie es der Bundestag genehmigt hatte. Scheuer hatte nun ein Problem: Wie liess sich der Preis schnell um eine Milliarde drücken?

Nach Ansicht des Bundesrechnungshofs, der das Verfahren minutiös überprüfte, so - wie des von der Opposition eingesetzten Untersuchungsausschusses des Bundestags begann Scheuer Geheimverhandlungen mit den Betreibern. Die Treffen, die vom Ministerium nicht protokolliert wurden, wurden erst durch Recherchen des «Spiegels» bekannt. Scheuer wird vorgeworfen, er habe in den Nachverhandlungen einen Teil der vorgesehenen Kosten in eine Art «Schattenhaushalt» verschoben, um das genehmigte Budget wenigstens auf dem Papier einzuhalten. Dabei habe er sowohl gegen das Vergabe- wie gegen das Haushaltsrecht verstossen.

Politisch noch explosiver ist der Vorwurf, die Betreiber hätten Scheuer vorgeschlagen, das Urteil aus Luxemburg abzuwarten, bevor der Vertrag unterschrieben werde. Wäre der Minister dem Rat gefolgt, wäre bei einem negativen Schiedsspruch kein Schadenersatz fällig geworden. Scheuer jedoch, so sagen Insider, sei es wichtiger gewesen, die Maut wie versprochen noch 2018 zu «liefern» - Risiken für die Steuerzahler hin oder her.

Scheuer behauptete vor einem Jahr im Bundestag, dieses An gebot der Betreiberfirmen habe es «nie gegeben». Im Untersuchungsausschuss wiederholten am Donnerstag deren Chefs den damaligen Vorschlag jedoch öffentlich. Die Sozialdemokraten, Partner von Merkels Christdemokraten in der Regierung, erneuerten ihre Drohung: Scheuer sei als Minister nicht mehr tragbar, sollte sich herausstellen, dass er den Bundestag belogen habe.

Am späten Donnerstagabend sollte erstmals auch Scheuer vor dem Ausschuss aussagen. Es wurde erwartet, dass er die Darstellung der Firmen bestreiten würde. Ob ihm dies das politische Überleben sichert, dürfte am Ende vor allem von CSU-Chef Markus Söder abhängen. Die Indizien gegen Scheuer waren aber ziemlich erdrückend.

Dominique Eigenmann, Berlin, BaZ 02.10.2020

Hat der am Oktoberfest zuviel Bier getrunken, als er dachte, er käme mit seiner Bauernschläue durch? (Nein, am Bier kann nicht sein, das Münchner Bock ist ja alkoholfrei.)

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Sa Okt 03, 2020 5:46 pm
Die EU erwartet ein Bekenntnis zum Rahmenabkommen
Brüssel Schweizer Parlamentarier haben in Brüssel die Stimmung sondiert: Neben den Zusatzerklärungen wie etwa zum Lohnschutz erwartet die EU eine Willensbekundung des Bundesrats zum Abkommen.

Die EU wartet ungeduldig auf die drei Erklärungen des Bundesrats zum Rahmenabkommen. Und Brüssel will von der Schweiz nicht länger hingehalten werden. Das ist die wichtigste Erkenntnis der Efta/EU-Delegation von National- und Ständerat, die diesen Donnerstag und Freitag die Schlüsselfiguren beim Schweiz-Dossier in EU-Kommission, Europäischem Auswärtigem Dienst (EAD) sowie dem EU-Parlament zum Austausch getroffen hat.

«Es war erhellend, zu spüren, wie die Stimmung wirklich ist», sagte Nationalrat Eric Nussbaumer (SP), Präsident der Delegation. Nach den Glückwünschen über den Ausgang der Volksabstimmung zur Personenfreizügigkeit sei rasch die Anschlussfrage gekommen, wie es nun mit dem Rahmenabkommen weitergehe. Die Erwartung sei, dass der Bundesrat nun die Klärungsvorstellungen zum Lohnschutz, den Staatsbeihilfen und der Unionsbürgerschaftsrichtlinie in den nächsten Wochen präsentiere.

Bundesrat in der Pflicht
«Wir haben auch festgestellt, der Bundesrat ist hier tatsächlich in der Pflicht», sagte Nussbaumer. Es sei Sache der Regierung, jetzt diese im Sommer 2019 angekündigten Klärungsvorstellungen zu unterbreiten. Die Gesprächspartner hätten signalisiert, die Vorschläge rasch anschauen zu wollen. Die Stossrichtung müsse aber von der Schweizer Regierung kommen: «Man hat gespürt, dass eine gegenseitige Verlässlichkeit unausweichlich ist», sagte Nussbaumer und sprach von einer Chance, in den letzten Jahren verloren gegangenes Vertrauen wieder aufzubauen.

Mit auf der Expedition waren auch die Ständerate Benedikt Würth (CVP), Damien Müller (FDP) und Carlo Sommaruga (SP) sowie die Nationalräte Hans- Peter Portmann (FDP), Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP), Nicolas Walder (Grüne) und Tiana Angelina Moser (GLP) als Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates. Angemeldet war auch Nationalrat Thomas Aeschi (SVP), der aber im letzten Moment abgesprungen sein soll, um an der «Arena»-Sendung teilnehmen zu können.

Deutlich sei auch die Ansage gewesen, dass die EU ein grundsätzliches Bekenntnis des Bundesrates zum vorliegenden Entwurf des Rahmenabkommens erwarte, hiess es aus der Schweizer Delegation. Erwartet werde in Brüssel eine klare Willensbekundung, zu unterschreiben und den Entwurf dem Parlament zu unterbreiten. Nur dann werde die EU bereit sein, über die Klar-

Die Chance, verloren
gegangenes
Vertrauen wieder
aufzubauen.

stellungen zu reden. Der EU sei das Risiko sonst zu gross, weiter hingehalten zu werden und am Ende ohne Ergebnis dazustehen.

Was den Inhalt der Klarstellungen betrifft, gab man der Delegation zu verstehen, dass der Spielraum relativ gross sein könnte. Die EU sei bereit, diese Erklärungen am Ende mitzuunterzeichnen und als rechtsverbindlich anzuerkennen. Der Delegation wurde aber auch bestätigt, dass die EU nicht Hand bieten will, den Entwurf des Abkommens neu zu verhandeln. Es werde erwartet, dass der Bundesrat neben den drei im Sommer 2019 schriftlich angekündigten Punkten Lohnschutz, Staatsbeihilfen und Unionsbürgerschaftsrichtlinie keine zusätzlichen Baustellen öffne. Sonst werde der Schaden für die Glaubwürdigkeit der Schweiz gross sein.

Botschafter fordern Druck
Ähnlich war der Tenor auch beim Treffen der EU-Botschafter diese Woche. Es sei jetzt der Moment, das Dossier Rahmenabkommen abzuschliessen. Einzelne Mitgliedstaaten drängten die EU-Kommission, Druck auf die Schweiz auszuüben. Fehlender Fortschritt beim Rahmenabkommen müsse Konsequenzen in anderen Dossiers nach sich ziehen. Erwähnt wurden etwa Gespräche über ein Gesundheitsabkommen oder die derzeit enge Zusammenarbeit im Kampf gegen die Corona-Pandemie.

Stephan Israel, Brüssel, BaZ 03.10.2020

Wäre ich Bundesrat, würde ich die EU fragen, wo die versprochene Rheintalstrecke geblieben ist, schliesslich haben wir für die EU die Alpentransversale gebaut, damit die Laster von Rotterdam bis zu Süditalien auf die Schiene verladen werden können. Und ohneverbindliche Erklärungen zu den Flankierenden Massnahmen ist nichts zu haben: https://www.unia.ch/de/arbeitswelt/von-a-z/personenfreizuegigkeit-flam/was-sind-flam
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Sa Okt 03, 2020 6:04 pm
Der Lockdown erinnerte Merkel an ihre Kindheit
30 Jahre Wiedervereinigung Die Kanzlerin lobt die Ostdeutschen, eine Grüne denkt an einen Song, und der AfD-Chef spricht von mehr Mitmenschlichkeit.

Schweiz und die EU; EU intern 00a6fb08_50cfe81134df91kzk
Es gehe generell um den Zusammenhalt im Land, sagte Angela Merkel im Bundestag, nicht nur zwischen Ost und West. Foto: Michele Tantussi (Getty Images)

Stefan Braun, Berlin. Baz 03.10.2020


Deutschland feiert heute die 30-jährige Wiedervereinigung. Dabei erscheint vieles andere gerade wichtiger als das Erinnern. Der Kampf gegen die Corona-Krise zum Beispiel; oder der um die Einheit Europas. Doch obwohl diese Krisen den Jahrestag der deutschen Einheit überlagern, lieferten gestern Politikerinnen und Politiker teils überraschende Blicke auf das Land.

Vorneweg die Kanzlerin. Sie hat in den vergangenen Jahren nicht allzu häufig über den Osten, den Westen und die Geschichte der Menschen gesprochen. Dieses Mal aber ist das anders. In einem Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland hat Angela Merkel die Leistungen gerade der Menschen in Ostdeutschland hervorgehoben.

Es sei an der Zeit, daran zu erinnern, «wie viele Menschen aus der DDR ihre Fähigkeiten im vereinten Deutschland eingebracht haben». Menschen, die «etwas geschafft und viel geleistet haben», so die Kanzlerin, die es als erste Ostdeutsche politisch ganz nach oben geschafft hat. «Wir haben gelernt zu improvisieren, und wir haben uns angesichts vieler Mängel immer gut organisiert», sagte Merkel. «Das sind Fähigkeiten, die einem auch heute helfen.»

Sie zeigte aber auch Verständnis dafür, dass sich manche Ostdeutsche heute als Bürger zweiter Klasse fühlten. Dafür gebe es manchen Auslöser, «verpasste Lebenschancen zum Beispiel». Nicht nur, aber wohl auch deshalb bleibt für die Kanzlerin der Zusammenhalt eine grosse und schwierige Aufgabe. «Wir werden sehr viel Kraft für einen solchen Zusammenhalt aufbringen müssen», mahnte Merkel. Und fügte hinzu, dass es dabei längst nicht mehr nur um den Zusammenhalt zwischen Ost und West gehe. «Ein Land im 21. Jahrhundert zusammenzuhalten, heisst, ein bestimmtes Mass an Gerechtigkeit für alle zu haben.»

Ungewöhnlich offen erinnerte Merkel ausserdem daran, dass sie sich im Frühjahr 2020 an ihre Kindheit erinnert fühlte. Sie meinte jene harten Massnahmen des Frühjahrs, mit denen Merkel samt Regierung die Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern versuchte. «Meine Kindheit und Jugend waren mir in diesem Moment sehr präsent», sagte die CDU-Politikerin. «Dass ich den Menschen sagen musste, dass man nur als ein Haushalt oder zu zweit auf der Strasse sein durfte, dass keine Veranstaltungen stattfinden durften - das waren gravierende Einschränkungen.»

Marsmännchen blickt runter
Fröhlicher und optimistischer hat sich Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble geäussert. Die Deutschen hätten gerade zu Jahrestagen die Neigung, vor allem zu fragen, was nicht gut gelaufen sei. Er steuerte dagegen: Verglichen mit vielen anderen Ländern gehe es Deutschland doch «ziemlich gut». So gut sogar, dass ein «Marsmännchen», wenn es von oben schaue, «nicht erkennen würde, dass Berlin durch eine Mauer geteilt war».

Probleme gäbe es, aber die hätten weniger mit der Wiedervereinigung und mehr mit der Krise westlicher Demokratien insgesamt zu tun. Die grössten Herausforderungen seien Klimawandel, Globalisierung, Digitalisierung - all das erschüttere die Menschen, sagte Schäuble dem Fernsehsender RTL. «Darauf müssen die erfolgsverwöhnten Demokratien eine bessere Antwort finden.»

Über die Einheit diskutiert hat am Freitag auch der Bundestag. Der FDP-Chef Christian Lindner lobte den Mut und die Unerschütterlichkeit der friedlichen Demonstranten in der DDR. «Die deutsche Einheit war kein Wunder», so Lindner. «Es war die Konsequenz der ersten erfolg reichen und unblutigen Revolution in unserem Land.» Diese tief sitzende Erfahrung werde «unser Land immer mit Freiheits bewegungen in anderen Ländern verbinden».

Auch Dietmar Bartsch, Co-Chef der Linken-Fraktion, lobte die «friedliche Revolution», nannte sie ein «historisches Glück» - und verwies auf die Lage in Weissrussland. Diese zeige, dass solches Glück alles andere als selbstverständlich sei.

Versäumnisse und Irrtümer der wirtschaftlichen Abwicklung von ostdeutschen Firmen beklagte Katrin Göring-Eckardt, die Co-Fraktionschefin der Grünen. Sie tat es aber nicht wehklagend, sondern indem sie Unternehmen nannte, die einst abgeschrieben wurden und heute sehr erfolgreich seien. Und sie erwähnte, wie ostdeutsches Kulturgut Erfolge gefeiert hat. So habe Peter Maffay im Jahre 1980 bei der ostdeutschen Band Karat die Rechte für das später äusserst erfolgreiche Lied «Über sieben Brücken musst du gehen» gekauft.

Ohne aggressive Attacken
Weniger blumig, aber für seine Partei ungewöhnlich trat der AfD-Chef Timo Chrupalla auf. Er sparte sich für einmal aggressive Attacken gegen alle anderen Parteien im Parlament und erinnerte stattdessen daran, dass die Menschen in der DDR zwar unterdrückt gewesen seien, aber viel Hilfsbereitschaft gezeigt hätten. «Vor allem im Privaten über lebte eine Mitmenschlichkeit», die heute viele Bürger vermissen würden. «Wir sollten uns fragen, warum», so Chrupalla.

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus redete nicht nur über das Glück der Einheit, sondern warnte auch vor Streit und Spaltung. Die innere Einheit müsse auch und gerade im Bundestag stetig wiederhergestellt werden. «Wir sind die Klammer, die dieses Land verbindet.» Umso wichtiger sei es, immer respektvoll miteinander umzugehen.
_________

Prägung durch die DDR
Das Fremdheitsgefühl zwischen Ost- und Westdeutschen hat 30 Jahre nach der Wiederver einigung deutlich abgenommen, ist aber noch immer nicht ganz verschwunden. Das ist ein Ergebnis einer Befragungsstudie über mehrere Jahre. Die verantwortlichen Forscher haben ausserdem festgestellt, dass jüngere Deutsche, die im Osten aufgewachsen und später in den Westen Deutschlands gezogen sind, nach wie vor stärker zu autoritären Positionen neigen, als im Westen aufgewachsene Menschen. Stimmten 1991 noch rund 26 Prozent der Bürger auf beiden Seiten der Aussage zu, die Menschen im anderen Teil Deutschlands seien ihnen «fremder als Bürger anderer Staaten», so sahen das 2018 noch rund 16 Prozent der Menschen in Ost und West so. (sda)


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Sa Okt 03, 2020 6:13 pm
Alte Bohrinseln als Quartier für Flüchtlinge
Grossbritannien Johnsons Regierung erwägt, Asylbewerber ausser Landes zu platzieren.

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Stillgelegte Ölbohrplattform in der Nordsee. Foto: Getty Images

Erst lachten viele Briten noch darüber, dass ihrer Regierung die Idee kam, Asylsuchende für die Dauer der Bearbeitung ihrer Anträge auf die über 6000 Kilometer entfernte britische Insel Ascension Island im Südatlantik zu verfrachten. Nun stellt sich heraus, dass Regierungschef Boris Johnson tatsächlich prüfen lässt, ob er Zehntausende ungebetener Fremder zeitweise «offshore» behausen kann.

Nicht nur ausgediente Fähren und Bohrinseln in der Nordsee sind im Gespräch bei den neuen Regierungsüberlegungen. Auch von speziellen Camps in Moldau oder Marokko ist die Rede. Selbst Papua-Neuguinea wird in Regierungsdokumenten erwähnt.

Einen Sturm der Entrüstung lösten am Donnerstag entsprechende Enthüllungen aus - freilich nicht bei allen Briten. Einer Yougov-Umfrage zufolge fanden schon die Idee mit Ascension Island 40 Prozent der Bevölkerung ausgezeichnet. Unter Tory-Wählern waren es sogar 62 Prozent.

«Abstrus, unmenschlich»
Dagegen hat der Labour-Chef und Oppositionsführer Sir Keir Starmer die Überlegungen als «lächerlichen Einfall einer unfähigen Regierung» gebrandmarkt. «Abstrus, unmenschlich, vollkommen unpraktikabel und für den Steuerzahler viel zu kostspielig» sei der Plan. Dokumenten zufolge, die der Zeitung «Guardian» zugespielt wurden, kommt der Plan des Abtransports von Asylbewerbern direkt aus der Regierungszentrale. «Seit Wochen» schon arbeiteten Ministerialbeamte an «detaillierten Plänen», die Premier Johnson angefordert habe. Unter anderem hat man offenbar sondiert, ob es möglich wäre, Migranten und Flüchtlinge auf fernen Inseln oder in anderen Ländern in Lagern festzuhalten, während in London ihre Zuzugsberechtigung geprüft wird.

Eine Option galt dem Bau von Flüchtlingslagern auf den britischen Südatlantikinseln Ascension Island oder St. Helena, viele Tausend Kilometer von England entfernt. Allein schon die Transportprobleme scheinen aber dazu geführt zu haben, dass die Regierung von dieser Idee Abstand genommen hat. Bau und Unterhalt der Lager hätten ausserdem Hunderte von Millionen Pfund verschlungen.

Skepsis hat auch die Idee von Downing Street ausgelöst, Moldau, Marokko oder gar Papua-Neu guinea um Erlaubnis für den dortigen Betrieb britischer Auffanglager zu bitten. Im Aussenministerium hält man diese Idee offenbar für unumsetzbar oder einfach für zu riskant. Als richtiggehend gefährlich haben Experten auch Vorschläge bezeichnet, Asyl bewerber auf ausgediente Ölbohrplattformen in der Nordsee auszufliegen und dort abzusetzen. Dass es solche Vorschläge tatsächlich gegeben habe, berichtete die «Times».

Eher vorstellbar, hiess es im Regierungsviertel Whitehall, sei der Ankauf alter Fähren oder Kreuzfahrtschiffe, die vor den britischen Küsten vor Anker liegen könnten. Einzelne schottische Inseln sollen ebenfalls auf ihre Eignung geprüft werden - wiewohl in diesem Fall Widerstand zu erwarten wäre von der dortigen Bevölkerung und von der schottischen Regierung.

Ausser den Oppositionsparteien haben auch Anwälte und Menschenrechtsverbände die Absicht, Asylbewerber auf Schiffe oder Bohrinseln oder in ferne Regionen «zu verbannen», scharf verurteilt. Die Regierung glaubt allerdings, dass sie die derzeit in wachsender Zahl über den Ärmelkanal drängenden «illegalen Migranten und Flüchtlinge» irgendwie abschrecken muss.

Drohung mit Kriegsmarine
Seit Beginn des Jahres haben die Fahrt auf Schlauchbooten und oft winzigen Kähnen aus Frankreich schon fast 7000 Personen unternommen. Im gesamten letzten Jahr waren es noch weniger als 1900, die auf diese Weise nach England kamen.

Der rechtsnationale Politiker Nigel Farage hat von einer regelrechten «Invasion» gesprochen. Und Innenministerin Priti Patel hat angekündigt, dass sie die Kanalroute «unbefahrbar» machen will. Patel droht inzwischen mit dem Einsatz der Kriegsmarine.

Peter Nonnenmacher, London, BaZ 03.10.2020

Johnson, der englische Viktor Mihály Orbán, Joggeli
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Mi Okt 28, 2020 9:40 pm
Friedrich Merz sieht sich ausgebremst und ist erbost
Deutschland Die CDU erhält frühestens im nächsten Jahr einen neuen Chef.

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Friedrich Merz, Fotos: Reuters
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Armin Laschet. Fotos: Reuters

Die CDU hat aufgrund der prekären Corona-Lage entschieden, ihren für den 4. Dezember geplanten Parteitag erneut zu verschieben, voraussichtlich ins Frühjahr 2021. Die Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hatte im Februar ihren Rückzug angekündigt. Ihr Nachfolger hätte im April gewählt werden sollen, der Parteitag musste damals aber abgesagt werden. Für den Vorsitz kandidieren Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen.

«Akt der Verantwortung»
Die CDU halte es in der jetzigen Lage nicht für sinnvoll, 1000 Delegierte zusammenzurufen, erklärte Generalsekretär Paul Ziemiak. Man bevorzuge aber einen Präsenzparteitag, deswegen die Verschiebung. Nur falls dieser auf absehbare Zeit nicht abgehalten werden könne, würde man ihn digital austragen und danach brieflich abstimmen. Digitale Abstimmungen lasse das Grundgesetz leider nicht zu.

Ziemiak bemühte sich, den Entscheid als Akt der Verantwortung darzustellen. Allerdings hatte er selbst eine Alternative in den Raum gestellt, bei der der Parteitag in viele kleine, digital miteinander verbundene Veranstaltungen aufgeteilt worden wäre, um gleichwohl am 4. Dezember analog einen Vorsitzenden zu wählen. Obwohl Ziemiak es abstritt, spielten politische Erwägungen für den Entscheid eine wichtige Rolle. Parteigrössen wie Wolfgang Schäuble, Volker Bouffier, Laschet oder CSU-Chef Markus Söder hatten schon zuvor dafür plädiert, erst später einen neuen Chef zu wählen.

Mitte März stehen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz Landtagswahlen an, bei denen die CDU wenig zu gewinnen hat. Bestimmt sie erst danach den neuen Chef, wären die Resultate wenigstens nicht dessen Schuld. Söder und Schäuble hatten für eine spätere Wahl zudem mit dem Argument geworben, dass man nicht zu früh festlegen solle, welcher Kanzlerkandidat CDU und CSU in die Bundestagswahl vom Herbst führe. Der wahrscheinliche Favorit der CDU-Kader, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Laschet, kann darauf hoffen, dass seine in der Corona-Krise lädierte Statur in der zweiten Welle wieder etwas an Glanz gewinnt. Empört reagierte dagegen dessen wichtigster Gegner. «Es gibt beachtliche Teile des Parteiestablishments, die verhindern wollen, dass ich Parteivorsitzender werde», meinte Merz. Vertraute liessen erkennen, dass sie damit vor allem Kanzlerin Angela Merkel meinten, Merz’ ewige Rivalin. Die Verschiebung sei ein Votum gegen die Basis. Tatsächlich zeigen Umfragen, dass Merz unter Parteimitgliedern doppelt so beliebt ist wie Laschet. Kramp-Karrenbauer wies Merz’ Vorwurf jedoch zurück: «Es ist jetzt nicht die Stunde des Taktierens oder für Spekulationen, was angeblich wem persönlich nützt.»

Profitiert am Ende Söder?
Derweil sinnierten Beobachter längst darüber, ob der eigentliche Gewinner der Verschiebung nicht Laschet, sondern Söder heissen könnte: Sollte sich die CDU über der Führungsfrage weiter zerstreiten und Söder Laschet und Merz in den Umfragen weiter überflügeln, könnte es durchaus passieren, dass die CDU am Ende den CSU-Chef bitten muss, das Kanzleramt für die Christdemokraten zu retten.

Dominique Eigenmann, Berlin, BaZ 18.10,2929

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So Nov 01, 2020 1:25 am
Er zähmte das Monster
Berlins neuer Flughafen Engelbert Lütke Daldrup ist ein Pedant - zum Glück. Sein Verdienst ist es, dass heute, acht Jahre nach der angekündigten Eröffnung und 30 Jahre nach Beginn der Planung, der Flughafen Berlin-Brandenburg tatsächlich aufgeht.

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Endlich startklar: Airport-Chef Engelbert Lütke Daldrup auf dem Vorfeld des neuen Flughafens Berlin-Brandenburg. Foto: Dominik Butzmann (Laif)

Dominique Eigenmann, Berlin, BaZ 31.10.2020


Wie sieht der Held eines Baus aus, der jahrelang einfach nicht fertig werden wollte? Wie tickt der Mann, der aus einer milliardenteuren Bauruine doch noch einen funktionierenden Flughafen machte, 3072 Tage nach der geplanten Eröffnung?

So wie Engelbert Lütke Daldrup vielleicht, der 64-jährige Geschäftsführer der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg. Trifft man ihn, sieht man einen drahtigen, irgendwie alterslosen Mann mit Designerbrille und rotblondem Schopf, auf dem zuletzt meist ein roter Baustellenhelm sass. Leute, die ihn gut kennen, sagen, er sei ein Perfektionist: ungeheuer hartnäckig, pedantisch, asketisch, fleissig und effizient, zugleich vorsichtig und misstrauisch, schonungslos im Anspruch. Seine Gegner halten ihn eher für hochfahrend, arrogant, ja renitent.

Einer vom Fach
Niemand bestreitet, dass Engelbert Lütke Daldrup vom Fach ist. Der diplomierte Stadtplaner vom Niederrhein hat sein Berufsleben als Staatssekretär in Ministerien zugebracht, die stets irgendwas mit Bauen, Verkehr und Flughäfen zu tun hatten. Zwei Jahre lang sass er zudem im Aufsichtsrat der Gesellschaft, die zunehmend ratlos versuchte, den neuen Berliner Flughafen im Südosten der Hauptstadt zu Ende zu bauen.

2017 wurde er deren Chef, als auf der Baustelle gerade wieder Verzweiflung herrschte: Nach fünf Jahren Sanierung hatte man festgestellt, dass die Sprinkleranlagen im Ernstfall nur tröpfeln würden, weil die Leitungen zu eng bemessen waren, und dass Hunderte Spezialtüren immer noch nicht öffneten oder schlossen, wie sie eigentlich sollten.

Als Lütke Daldrup antrat, glaubte er wie seine Vorgänger, zu wissen, was er sagte, wenn er die Eröffnung für «das nächste Jahr» versprach. Doch dann tat er etwas, was seine Vorgänger gescheut hatten, und durchleuchtete den halb fertigen Bau gnadenlos. Er habe sich tiefer in die Details eingearbeitet als jeder vor ihm, heisst es.

Im Sommer 2017 dämmerte ihm, dass die Probleme gewaltiger waren, als er es jemals für möglich gehalten hätte. Da tat er etwas Unerwartetes, Mutiges: Er verschob die Eröffnung auf Oktober 2020. Und versprach: Aber bis dahin schaffen wir es auch wirklich. Die Ankündigung, die sich im Nachhinein als Befreiungsschlag herausstellen sollte, kam bei den Berliner und Brandenburger Eigentümern genauso als Schock an wie im Rest Deutschlands.

Glauben tat Lütke Daldrup das Versprechen damals niemand. Noch 2018 sagte ein Lufthansa-Manager öffentlich, er glaube, der Flughafen müsse abgerissen und neu gebaut werden. Der Berliner «Tagesspiegel», aus Erfahrung sarkastisch geworden, raunte noch in diesem Frühling von «Zehntausenden von Mängeln», als sich die gestrengen Behörden gerade anschickten, den

Dan tat Lütke
Dadrup etwas
Unerhörtes:
Er cerschob die
Eröffnung bis
2020. Und hielt
den Termin ein.

Bau zu genehmigen und für betriebsbereit zu erklären.

Lütke Daldrup hat es also geschafft. Er hat das «Monster», wie Vorgänger den Flughafen tauften, gezähmt. Den «Kladderadatsch», Berlinerisch für Scherbenhaufen, weggeräumt. Ihm, dem spröden Pedanten, ist gelungen, woran prahlerische Ichdarsteller wie Hartmut Mehdorn, der frühere Chef von Deutscher Bahn und Air Berlin, kläglich gescheitert waren. Er, der fünfte Chef in 14 Jahren, eröffnet nun den Berliner Flughafen.

Der Weg sei nicht leicht gewesen, sagt Lütke Daldrup mit gehörigem Understatement. «Es war eine mühsame, sehr kleinteilige Arbeit, die uns lange beschäftigt hat.» Er und seine Leute arbeiteten einfach die Mängel ab, einen nach dem anderen. Zäh, unerbittlich. Sie schauten nur nach vorne, nie zurück. Und erreichten tatsächlich ihr Ziel.
__________

Flughafen Berlin-Brandenburg
Am Samstag landen um 15 Uhr gleichzeitig eine Maschine von Lufthansa und Easyjet und eröffnen damit den Flugbetrieb am neuen Flughafen Berlin-Brandenburg: Iata-Kürzel BER, Zuname Willy Brandt. Die beiden Airlines sind die Hauptmieter am Standort im brandenburgischen Schönefeld, an der südöstlichen Stadtgrenze von Berlin. Der bisherige Flughafen Schönefeld heisst seit dieser Woche BER-Terminal 5, Berlin-Tegel (TXL) wird am Sonntag in einer Woche geschlossen. Der BER gehört zu je 37 Prozent den Bundesländern Berlin und Brandenburg und zu 26 Prozent dem Bund. (de)

Ein Ruhmesblatt sei das natürlich trotzdem nicht, bei dieser traumatischen Vorgeschichte: «Nicht nur Berlin, ganz Deutschland wurde zur Lachnummer. Wir deutschen Ingenieure haben uns geschämt.» Er habe den Job auch nicht aus Spass, sondern aus Pflichtgefühl übernommen: «Im Kern, weil es gemacht werden muss», sagte er einst dem «Tagesspiegel». Er habe in seinem Leben viele spannende Dinge machen dürfen und das Gefühl gehabt, etwas zurückgeben zu müssen. Er sei auch alt genug gewesen dafür. Mit 45 hätte er es nicht gekonnt.

Wenn Lütke Daldrup Journalisten seinen Flughafen zeigt, sieht man erst eine riesige Halle mit weit vorkragendem Dach und vielen Stützen, entworfen von Meinhard von Gerkan, dem Mann, der in den 60er-Jahren schon den Flughafen Berlin-Tegel gezeichnet hatte.

Rot als Leitfarbe
Drinnen erfreut sich der Chef am Jurakalkstein auf dem Boden, an der Leitfarbe Rot und am fran zösischen Nussbaumfurnier überall. Freunde des Flughafens nennen die Architektur gerne «warm», «elegant» und «zeitlos». Kritiker dagegen spotten über den neu-alten «Retrostil» - unvermeidliche Folge der überlangen Bauzeit. Wie eine detailversessen hergestellte Kulisse für einen Film, der vor 25 Jahren spiele, wirke der Terminal, schrieb der «Spiegel». Wie ein «Geschmacksmonument des Berliner 90er-Jahre-Konservatismus», die «Süddeutsche Zeitung».

Die fast unendliche Geschichte dieses Flughafens begann gleich nach der deutschen Wiedervereinigung. Berlin, die zuvor geteilte Stadt, sollte einen neuen, grossen Flughafen bekommen, rechtzeitig zu den Olympischen Spielen 2000. Daraus wurde so wenig etwas wie aus Olympia, vielmehr machte sich Berlin mit seiner Unfähigkeit, einen Flughafen zu bauen, zum Gespött der ganzen Welt. Vom Bau, der 2006 begann, zeugten eineinhalb Jahrzehnte lang vor allem die Witze über dessen Scheitern. «Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu errichten», hiess es frei nach DDR-Staatschef Walter Ulbricht. Das grösste Infrastrukturprojekt der deutschen Einheit verkam zu einer Bruchbude. Made in Germany.

Fünf parlamentarische Untersuchungsausschüsse haben auf Tausenden Seiten Gründe für das Fiasko zusammengetragen: Es war ein Versagen auf allen Ebenen. Im Mai 2012, als 40’000 Einladungen für die Eröffnung schon gedruckt waren, war der Flughafen nur zu 56 Prozent «betriebsbereit», wie man später herausfand. Die gigantische Entrauchungsanlage funktionierte nicht, die Automatiktüren höchstens von Hand, Brandschutzwände schützten nicht, Sprinkler waren nicht ans Wasser angeschlossen, Tausende Kilometer Kabel falsch verlegt, niemand hatte den Überblick. 120’000 Mängel zählte ein erster Bericht damals, 4000 von ihnen «genehmigungsrelevant».

Am schlimmsten versagte die Politik. Der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, und der Ministerpräsident von Brandenburg, Matthias Platzeck, beide Sozialdemokraten, führten das Projekt mit sicherer Hand in den planerischen Bankrott: Erst verstaatlichten sie es, dann verzichteten sie auf einen Generalunternehmer, weil sie glaubten, der Staat könne einen Flughafen besser und billiger bauen. Nach dem Fiasko von 2012 entliessen sie noch die zentralen Planer. Es war, schrieb der «Spiegel», wie wenn man mitten in eisiger Wand den Bergführer in die Tiefe stossen würde.

Kein Verantwortlicher wurde bis heute für das Debakel zur Rechenschaft gezogen, angeblich aus Angst vor Schadenersatzforderungen von Lufthansa, Air Berlin oder Deutscher Bahn. Am Ende hat der neue Flughafen samt jahrelanger Sanierung 6 Milliarden Euro gekostet statt 2 Milliarden Euro. Ein Flughafen zum Preis von drei, spottet man in Berlin. Lütke Daldrups Gesellschaft wird noch über Jahre am Tropf des Steuerzahlers hängen - umso mehr, als die Corona-Pandemie die zivile Luftfahrt pünktlich zur Eröffnung in ihre schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg gestürzt hat.

Zu feiern gibt es nichts
Zu feiern gibt es also nichts, wenn am Samstag der Flughafen öffnet und die ersten Flugzeuge landen. Ein Fest werde es nicht geben, sagt Lütke Daldrup, das sei schon vor Corona so geplant gewesen. «Wir machen einfach auf.»

Ein bisschen, merkt man irgendwann, ist er schon auch stolz darauf, dass er es war, dem am Ende wenigstens der Abschluss gelang: Dipl.-Ing. Engelbert Lütke Daldrup. Im April, als der Bau mitten in der ersten Corona-Welle endlich genehmigt wurde, erlaubte er sich im Büro einen Grappa. Zwei wären schon zu viel gewesen.

Endlich startklar: Airport-Chef Engelbert Lütke Daldrup auf dem Vorfeld des neuen Flughafens Berlin-Brandenburg. Foto: Dominik Butzmann (Laif)


Zuletzt von joggelich am Do Nov 19, 2020 1:07 am bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
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So Nov 01, 2020 10:57 pm
Jüdische Bevölkerung in Europa hat sich mehr als halbiert

Seit 1970 ist die Anzahl Juden in Europa um 60 Prozent zurückgegangen. Tendenz weiter sinkend. Auch die Schweiz ist betroffen

Sechs Millionen Juden haben die Nazis umgebracht. Doch auch Jahrzehnte nach dem Holocaust sinkt die Zahl der Juden in Europa weiter. Gemäss einer neuen Studie des Londoner Institute for Jewish Policy Research leben in Europa (inklusive Russland und Türkei) heute bloss noch 1,3 Millionen Menschen, die sich als Juden bezeichnen. 1970 waren es 3,2 Millionen gewesen.

Dies bedeutet einen Rückgang um 60 Prozent in den letzten 50 Jahren.

Hauptursache für diese dramatische Dezimierung ist der Fall des Eisernen Vorhangs 1989. Ein Grossteil der Juden aus Osteuropa migrierte in der Folge nach Israel, in die USA oder nach Deutschland, das als Wiedergutmachung die ausgelöschten jüdischen Gemeinden wieder aufzufüllen versuchte. Doch auch in Westeuropa ging die Anzahl Juden insgesamt zurück - trotz den Bemühungen Deutschlands.

Frankreich zählt nach den USA die zweitgrösste jüdische Bevölkerung ausserhalb Israels, aktuell sind es 449’000. Einer Schätzung zufolge haben seit dem Jahr 2000 zwischen 75’000 und 100’000 Juden und ihre Familienangehörigen Frankreich verlassen, hauptsächlich, um nach Israel oder Kanada auszuwandern.

Wichtigster Grund dafür ist die zunehmend prekäre Sicherheitslage, insbesondere durch den islamistischen Terror. So war beim Angriff auf die Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» vor fünf Jahren auch ein koscherer Supermarkt Ziel der Fanatiker. Jüdische Einrichtungen wie Schulen oder Synagogen müssen ständig durch schwer bewaffnete Sicherheitskräfte geschützt werden.

Studienautor Sergio DellaPergola sagt in der «Times of Israel»: «Frankreich ist heute ein Ort, wo ein Geschichtslehrer auf der Strasse geköpft werden kann. Selbstverständlich finden viele Juden Kanada lebenswerter.» Gemäss der Studie ist der Rückgang in jenen Ländern am geringsten, in denen eine starke orthodoxe, also strenggläubige, Gemeinschaft lebt. Deren Mitglieder sind traditionell kinderreich. Auch die Schweiz wird zu diesen Ländern gezählt. Im Jahr 1970 lebten hierzulande 20’000 Juden, heute sind es rund 18’000. Das bedeutet einen Rückgang um 10 Prozent - gleichzeitig ist die Gesamtbevölkerung allerdings um fast 40 Prozent gewachsen.

Zurück zum «Zustand wie vor 1000 Jahren»
Laut Bundesamt für Statistik bekennen sich heute 0,2 Prozent der Schweizer Bevölkerung zum jüdischen Glauben. Zum Vergleich: Der Anteil Muslime im Land beträgt 5,3 Prozent, Tendenz steigend. Neben der Auswanderung gehört die Assimilation zu den Hauptgründen des Rückgangs. Gemäss dem Israelitischen Gemeindebund (SIG) heiraten in der Schweiz seit Jahrzehnten rund die Hälfte der Juden interreligiös. «Früher war dies in den meisten Fällen gleichbedeutend mit einer Abkehr vom Judentum», erklärt SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner.

Heute sei dies mehrheitlich nicht mehr der Fall: «Mittlerweile werden interreligiöse Ehen auch in den modern-orthodox geführten Einheitsgemeinden eher akzeptiert, man ist an integrierenden Lösungen interessiert.» Auch sonst gibt es ein paar wenige Lichtblicke. So ziehen seit einigen Jahren vermehrt junge Israelis in gewisse westeuropäische Länder. Den Rückgang kompensieren kann dies allerdings nicht.

Die Studienautoren veranschaulichen den Niedergang des Judentums in Europa anhand eines eindrücklichen Zahlenvergleichs. Um 1900 lebten 83 Prozent aller Juden weltweit in Europa, hauptsächlich im Osten. 1945 - also nach der grossen Judenvernichtung durch die Nazis - waren es noch 35 Prozent. 1970 sank der Anteil weiter auf 29 Prozent, heute liegt er bei nur noch 9 Prozent. «Das entspricht etwa wieder den Proportionen wie vor 1000 Jahren», so das Fazit.Rico Bandle
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Di Nov 03, 2020 1:02 am
Macron wendet sich an die Muslime

Frankreich Präsident Emmanuel Macron hat nach erneuten Protesten in muslimischen Ländern gegen Frankreich und nach den islamistisch motivierten Morden von Nizza Verständnis dafür geäussert, dass Muslime sich von den umstrittenen Mohammed-Karikaturen getroffen fühlen. Gewalt sei aber nicht akzeptabel.

In einem Interview mit dem Sender al-Jazeera sagte Macron: «Ich verstehe die Gefühle, die zum Ausdruck gekommen sind, und ich respektiere sie.» Dennoch «werde ich in meinem Land immer die Freiheit, zu reden, zu schreiben, zu denken und zu zeichnen verteidigen», betonte Frankreichs Staatschef. Der radikalisierte Islam, den er zu bekämpfen versuche, sei «eine Bedrohung für alle Menschen, besonders für Muslime».

Am Freitag hatten Zehntausende Muslime in mehreren Ländern wegen der Karikaturen gegen Frankreich protestiert, so in Pakistan, im Libanon und im Gazastreifen. In Dhaka, der Hauptstadt Bangladeshs, versammelten sich 50’000 Protestierende, es wurden Macron-Puppen verbrannt. Hardliner im Nahen und Mittleren Osten, so auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, stellten die Haltung der Regierung in Paris als Affront gegen den Islam dar.

Drei Festnahmen nach Attentat in Nizza
Unterdessen sind im Zusammenhang mit den Messerangriffen in der Basilika Notre-Dame in Nizza drei Personen in Polizeigewahrsam, wie französische Medien berichteten. Bei mindestens zwei Personen würden mögliche Kontakte zum Ver dächtigen untersucht. Der Täter, ein kürzlich eingereister Tunesier, hatte drei Menschen in der Kirche getötet und sechs weitere verletzt. Er selbst wurde durch Polizeikugeln schwer verletzt.

Am Samstagabend ereignete sich in Lyon ein weiterer Gewaltakt. Ein griechisch-orthodoxer Priester wurde schwer verletzt, als auf ihn geschossen wurde, während er die Kirche abschliessen wollte. Ein verdächtiger Mann wurde festgenommen, aber wieder freigelassen. Ob es sich um einen Terrorakt handelt, war zunächst unklar. (sda)
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Do Nov 19, 2020 1:04 am
Basel plant ein neues Quartier in Weil am Rhein mit

Grenzüberschreitend Eingeklemmt zwischen dem Gefängnis Bässlergut, dem Bahndamm und den Langen Erlen soll ein neuer Stadtteil entstehen. Das Areal liegt auf deutschem Boden, trotzdem hat Basel rund eine halbe Million Franken in die Hand genommen, um das Projekt voranzutreiben.

Der Grund: Die Einwohnergemeinde der Stadt Basel ist Grundeigentümerin des Areals. Gemeinsam wollen Weil und Basel hier ein neues Quartier für bis zu 2200 Einwohner aus dem Boden stampfen. Gestern haben Immobilien Basel-Stadt und die Stadt Weil am Rhein zwei von einer Jury auserkorene Arbeiten vorgestellt, welche die Basis für weitere Schritte sein sollen. Einst wollte Basel das Gewerbegebiet für die Messe Basel nutzen. Das ist kein Thema mehr. Deshalb bot der Basler Regierungsrat Weil am Rhein nun Hand, um dort in Zukunft Wohnraum schaffen zu können. Die Einwohnergemeinde der Stadt Basel wird wohl aber nicht selbst bauen. Wahrscheinlicher sei eine Abgabe an Investoren oder Direktnutzer im Erbrecht oder durch Landverkauf. (dis) Seite 19
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Wohnen zwischen Gefängnis und Wald
Basel hilft Weil am Rhein, einen neuen Stadtteil aus dem Boden zu stampfen
Direkt neben den Langen Erlen und dem Gefängnis Bässlergut soll in Weil am Rhein mithilfe von Basel ein neues Quartier für bis zu 2200 Bewohner entstehen.


Dina Sambar 17.11.2020 BaZ

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Sicht aus einem der Hochhäuser aus der Arbeit von pool Architekten mit Maurus Schifferli Landschaftsarchitekten.
Visualisierung: pool Architekten mit Maurus Schifferli Landschaftsarchitekten


Es ist ein spezielles Gebiet, auf dem das neue Quartier entstehen soll. Das Areal neben dem Ausschaffungsgefängnis Bässlergut hat etwas elendes und ist doch irgendwie schön. Eingeklemmt zwischen der Freiburgerstrasse und dem Bahndamm, brausen Autos, Lastwagen und Züge an den Feldern vorbei. Doch es gibt auch viel Grün. Direkt daneben liegt der Wald der Langen Erlen, den wohl fast jeder Hundebesitzer in Basel kennt. Der Vitaparcours ist ein Katzensprung entfernt. Mit dem Velo ist man in acht Minuten am Messeplatz in Basel oder im Stadtzentrum von Weil am Rhein. Die Fahrt mit dem Bus an den Claraplatz dauert 12 Minuten.

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Auf diesen Feldern zwischen dem Gefängnis Bässlergut (links), den Langen Erlen (unten), dem Bahndamm (rechts) und dem Stadtteil Otterbach (oben) soll das neue Quartier von Weil am Rhein entstehen.
Bild: Ausschnitt Google Maps


Und genau dort will Basel der Stadt Weil am Rhein dabei helfen, einen kleinen Stadtteil aus dem Boden zu stampfen. Das Areal Otterbach Süd, das mit knapp elf Hektaren etwa so gross ist wie der Zoo Basel, liegt zwar auf deutschem Boden, gehört aber zum grössten Teil der Einwohnergemeinde der Stadt Basel. Basel-Stadt und Weil am Rhein haben deshalb in einer Planungsvereinbarung gemeinsam beschlossen, dass sie die Gewerbefläche gerne als Wohn- und Mischnutzung entwickeln würden.

Auf den Feldern sollen in Zukunft bis zu 2264 Menschen wohnen und arbeiten können. Rund 30 Prozent davon soll sozialer Wohnungsbau sein. Auch Fläche für nicht störende Gewerbebetriebe ist vorgesehen. Der Bau soll in Etappen erfolgen.

Druck auf Wohnraum ist gross

Am Dienstag haben Immobilien Basel-Stadt und die Stadt Weil am Rhein zwei von einer Jury auserkorene Arbeiten vorgestellt, welche die Basis für weitere Schritte sein sollen. Die Lösungsansätze von Hosoya Schaefer Architects mit Agence Ter.de Landschaftsarchitekten und pool Architekten mit Maurus Schifferli Landschaftsarchitekten sind sehr unterschiedlich. Während Erstere die Bauten in acht nicht ganz symmetrische Blöcke gleichmässig verteilt, sind in der zweiten Arbeit auch Hochhäuser bis zu 80 Meter eingeplant, was viel mehr Grünfläche offen lässt.

Schweiz und die EU; EU intern 3x1j2b

Der Lösungsansatz von Hosoya Schaefer Architects mit Agence Ter.de Landschaftsarchitekten sieht keine Hochhäuser, dafür weniger Grünfläche vor.
Visualisierung: Hosoya Schaefer Architects mit Agence Ter.de Landschaftsarchitekten

Gleich wie in Basel sei der Druck auf Wohnraum in Weil am Rhein gross, sagt Oberbürgermeister Wolfgang Dietz: «Doch wir müssen vorsichtig mit unserer Fläche umgehen.» Einst wollte Basel das Land neben dem Ausschaffungsgefängnis für die Messe Basel nutzen. Da dies kein Thema mehr ist, kam die Stadt Weil am Rhein mit der Bitte auf Basel zu, dort Wohnungen schaffen zu können. Die direkte Nachbarschaft zum Gefängnis ist für Dietz kein Hinderungsgrund. Der Basler Regierungsrat beschloss, Hand zu bieten. Der Studienauftrag, der rund eine halbe Million kostete, wurde von Basel bezahlt. Nun liegt der Ball bei Weil am Rhein. «Das Ziel ist erschlossenes, rechtskräftig bebaubares Land. Erst danach entscheiden wir, ob wir auch Eigeninvestitionen tätigen, was aber im Moment eher nicht danach aussieht», sagt Rolf Borner, Geschäftsleiter von Immobilien Basel-Stadt. Wahrscheinlicher sei die Abgabe an Investoren oder Direktnutzer im Erbrecht oder durch Landverkauf.

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Auch diese Landwirtschaftsfläche neben dem Gefängnis Bässlergut ist ein Teil des Areals, das in Zukunft überbaut werden soll.
Foto: Pierre Stoffel


Verkehr wird zum Problem

Zum Problem könnte der Verkehr werden. Dabei geht es nicht um die nötigen Parkplätze, sondern um die Zufahrt. «Zwar dürfen Fussgänger und Velofahrer die Grenze überqueren, doch für Autofahrer ist die einzige Zufahrt die Nonnenholzstrasse am Nordrand des Areals», sagt der Erste Bürgermeister von Weil am Rhein, Christoph Huber. Deshalb wolle man in die Planung auch die Bewohner des Stadtteils Offenbachs miteinbeziehen: «Er hat dort schon jetzt viel Verkehr, und die bis zu 2200 neuen Bewohner kommen sicher nicht alle mit dem Fahrrad», so Huber. Angedacht ist auch, den 30-Minuten-Takt der Buslinie 55 zu erhöhen.

«Es stellt sich die Frage, ob das Projekt für uns sozial verträglich ist», sagt Dietz. Die Akzeptanz der Bevölkerung sei wichtig. Huber rechnet damit, dass es weitere acht bis zehn Jahre dauert, bis der Flächennutzungsplan geändert und ein Bebauungsplan aufgestellt ist. Die Planungshoheit liegt zwar bei Weil am Rhein, doch auch Basel könnte das Projekt blockieren – beispielsweise, um die Grünfläche zu erhalten. Der Bebauungsplan sagt nur, was gebaut werden darf, nicht, was der Besitzer bauen muss. «Natürlich wäre das grundsätzlich möglich», sagt Borner, fügt aber an: «Der Regierungsrat hat in der Zusammensetzung von 2017 beschlossen, diesen Prozess voranzutreiben. Bisher ist die Zusammenarbeit gut, und ich sehe keine Anzeichen, weshalb das in sechs, sieben Jahren anders sein sollte.»

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Alle Arbeiten der sechs eingeladenen Büros sind vom Samstag, 28. November, bis Sonntag, 6. Dezember 2020, im Kultur- und Gewerbehaus Elys an der Elsässerstrasse 215a in Basel ausgestellt. Es besteht Maskenpflicht. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 16 bis 20 Uhr, Samstag und Sonntag von 15 bis 19 Uhr.
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So Nov 22, 2020 12:13 am
Nach dem EU-Gipfel
Die «Die Magie der Europäischen Union» scheint aufgebraucht
Der Konflikt mit Ungarn und Polen um einen neuen Rechtsstaatsmechanismus und Corona-Hilfen zeigt, wie tief der Graben in der EU ist. Gibt es noch genug Gemeinsamkeiten in der EU?

Stephan Israel,20.11.2020 BaZ

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Wollen Ungarn und Polen nicht nachgeben: EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel bei der Medienkonferenz nach dem Gipfel.
Foto: Olivier Matthys (Reuters)


Bruchlinien in den eigenen Reihen übertünchen, das kann man in diesen höchsten Kreisen besonders gut. Ganze 17 Minuten haben die Staats- und Regierungschefs am virtuellen EU-Gipfel über das eigentliche Streitthema gesprochen, nämlich über Ungarns und Polens Blockade beim Haushalt und dem Corona-Wiederaufbaufonds. Da redete man lieber über weniger verfängliche Themen, wie den Kampf gegen die Corona-Pandemie.

«Die Magie der Europäischen Union liegt darin, dass es ihr gelingt, Lösungen zu finden, selbst wenn man davon ausgeht, dass dies nicht möglich ist», beschwichtigte EU-Ratspräsident Charles Michel nach dem virtuellen Treffen. Aber was, wenn diese Magie aufgebraucht ist? Der Konflikt dreht sich um einen neuen sogenannten Rechtsstaatsmechanismus, der an EU-Haushalt und Corona-Fonds geknüpft ist. Ungarn und Polen müssen zu Recht fürchten, Anspruch auf EU-Gelder zu verlieren, wenn sie weiter den Rechtsstaat aushöhlen und die Gewaltenteilung infrage stellen.

Ob die Regierungschefs Ungarns und Polens mit ähnlicher verbaler Keule argumentierten, ist nicht durchgesickert. Unterstützung für Polen und Ungarn gab es noch vom Slowenen Janez Jansa, der zuletzt schon mit seiner Gratulation für «Wahlsieger» Donald Trump ausgeschert ist und die europäischen Partner verärgert hat. Aus dem Duo der Blockierer ist also ein Trio der Blockierer geworden. Im Sommer war die Einigung auf die 1,8 Billionen Euro für Haushalt und Corona-Fonds noch als historisch gefeiert worden.

Orban warnt vor «zweiter Sowjetunion»

Es gebe den Willen, in den kommenden Tagen sehr intensiv zu arbeiten, um eine Einigung beim Haushalt und dem Corona-Fonds zu erzielen, betonte Charles Michel. Beim Traktandum sollen nur Ungarns Regierungschef Viktor Orban und Polens Premier Mateusz Morawiecki das Wort ergriffen haben. Die EU werde zu einer «zweiten Sowjetunion», hatte Orban im Vorfeld den Sanktionsmechanismus attackiert. Polen werde sich als souveränes Land nicht der «politischen und institutionellen Sklaverei unterwerfen», warnte die rechtsnationale Regierung in Warschau.

Ob die Regierungschefs Ungarns und Polens mit ähnlicher verbaler Keule argumentierten, ist nicht durchgesickert. Unterstützung für Polen und Ungarn gab es noch vom Slowenen Janez Jansa, der zuletzt schon mit seiner Gratulation für «Wahlsieger» Donald Trump ausgeschert ist und die europäischen Partner verärgert hat. Aus dem Duo der Blockierer ist also ein Trio der Blockierer geworden. Im Sommer war die Einigung auf die 1,8 Billionen Euro für Haushalt und Corona-Fonds noch als historisch gefeiert worden.

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Beim Streit um den Rechtsstaatsmechanismus geht es um das gemeinsame Fundament der EU: Die Mitgliedsländer finden sich zum digitalen Gipfel ein.
Foto: Olivier Matthys (AP)

Erstmals sollte Brüssel angesichts der Pandemie Schulden machen und wirtschaftlich besonders betroffene Staaten mit Krediten sowie Zuschüssen helfen können. Die EU verdoppelt für die nächsten Jahre praktisch ihr Budget. Die Niederlande und andere Nettozahler im Club setzten im Gegenzug den Rechtsstaatsmechanismus durch. Wenn die Regierungen in Warschau oder Budapest Richter auf Linie bringen, können diese nicht mehr unabhängig gegen Korruption und Missbrauch der Gelder vorgehen.

Nettozahler und EU-Parlament wollen nicht mehr zuschauen, wie Ungarn und Polen mit EU-Geldern den Rechtsstaat aushöhlen und die Demokratie untergraben. Andere Instrumente der EU, die Rechtsnationalisten auf dem Weg in die Autokratie zu stoppen, haben sich als stumpf erwiesen. Mit der Blockade schaden Ungarn und Polen zwar auch sich selber, die Länder gehören zu den grössten Nettoempfängern im Club. Aber Ideologie geht vor. Die Rechtsnationalisten setzen darauf, dass die europäischen Partner möglicherweise doch noch einknicken und den Sanktionsmechanismus entschärfen. Diese sprechen von Erpressung, mitten in der Notlage der Pandemie. Kein Wunder ist die Stimmung vergiftet.

Italien oder Spanien warten auf die Gelder

Auf die Gelder dringend angewiesen sind vor allem Italien oder Spanien, deren Wirtschaft wegen der Corona-Pandemie besonders stark eingebrochen ist. Italiens Regierungschef Giuseppe Conte oder Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez sollen sich bei der Videokonferenz jedoch nicht zu Wort gemeldet haben. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, sonst ein Freund klarer Worte, schwieg in der Runde. Man will nicht Öl ins Feuer schütten und hofft, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und die deutsche EU-Ratspräsidentin bei Verhandlungen hinter den Kulissen in den nächsten Tagen einen Ausweg finden.

Die Fronten sind allerdings verhärtet, der Spielraum klein: Die EU ist eine Wertegemeinschaft – oder sie ist es gar nicht. Es geht um das gemeinsame Fundament. Die Bruchlinien sind klar, verlaufen aber nicht zwischen Ost und West. Die Regierungen der Slowakei oder Rumäniens haben sich klar von der Blockade distanziert. «Alle Steuerzahler in den EU-Staaten sollten die Garantie haben, dass ihr Geld korrekt verwendet wird», sagte etwa Rumäniens Regierungschef Ludovic Orban.

Die nächsten Wochen werden
zeigen, ob die
Gemeinsamkeiten
aufgebraucht sind

Die Bruchlinie tangiert aber die Europäischen Konservativen (EVP). Sowohl Ungarns Viktor Orban also auch Sloweniens Janez Jansa gehören zur selben Parteienfamilie wie Angela Merkels Christdemokraten (CDU). Die Konservativen sehen sich traditionell als Gründer der EU, ein Ruf, der in Gefahr ist. Die deutsche Bundeskanzlerin ist auch deshalb gefragt, einen Ausweg zu finden. Die nächsten Wochen werden zeigen, ob die Gemeinsamkeiten aufgebraucht sind.

«Das ist ein schon sehr ernsthaftes Problem, das wir zu lösen haben», sagte Merkel. Der Plan B wäre, den Corona-Fonds an den Blockierern vorbei ausserhalb der EU als internationales Abkommen oder in Form einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen 24 der 27 Mitgliedsstaaten zu organisieren. Der Weg ist rechtlich kompliziert, aber machbar. Es wäre ein Schritt hin zu einem Bruch der EU.

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Ist in dem Streit als Vermittlerin gefragt: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Foto: Andreas Gora (Getty Images)


Während des virtuellen Gipfels haben die Staats- und Regierungschefs lieber über die Pandemie gesprochen und wie sie ihre Bemühungen noch besser koordinieren können. Hier gibt es immerhin einen Lichtblick: Zwei Impfstoffe könnten bereits im Dezember zugelassen werden, sagte Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Entspannung verspricht sich die EU auch von Schnelltests, wo man sich aber noch auf einen gemeinsamen Rahmen für die Anerkennung einigen muss.

In der Pipeline ist zudem ein digitales Rückreiseformular, das Reisen einfacher machen soll. Um keine dritte Corona-Welle zu riskieren, sollen die Einschränkungen aber nur vorsichtig und schrittweise gelockert werden. Weihnachtsfeiern ja, aber im kleinen Rahmen. Selber wollen sich die Staats- und Regierungschefs im Dezember wieder treffen, dann aber physisch in Brüssel. Spätestens dann müsste die Blockade bei Haushalt und Corona-Fonds überwunden sein, wenn die Gelder im nächsten Jahr fliessen sollen.
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So Nov 22, 2020 12:40 am
Analyse zur Blockade in der EU
Wie Orban und Co. seit vielen Jahren systematisch die EU untergraben
Im Streit mit der EU sitzen Polen und Ungarn am längeren Hebel. Brüssel will umso härter bleiben. Doch wie weit kann die EU gehen?

Cathrin Kahlweit aus Wien, 20.11.2021 BaZ

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Der virtuelle Gipfel vom Donnerstagabend blieb ohne Ergebnis. Im Bild: Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der ungarische Regierungschef Viktor Orban während dem EU-Gipfel am 1. Oktober.
Foto: Dursun Aydemir (Getty Image)


Über Monate hat sich in Brüssel die Überzeugung gehalten, dass Polen und Ungarn, unterstützt von Slowenien, mit ihrem Nein zum Rechtsstaatsmechanismus nur bluffen. Die EU solle erpresst werden mit einem Veto gegen das nächste Budget und die Corona-Hilfen, aber das würden Ungarns Premier Viktor Orban und Polens starker Mann, Jaroslaw Kaczynski, nicht lange durchhalten – schliesslich gehörten ihre Länder zu den grössten Nettoempfängern in der EU.

Brüssel sagt, man wird hart bleiben

Nun wird ausgelotet, wie weit man den Erpressern entgegenkommen kann. Es geht dabei um das Artikel-7-Verfahren wegen der Verletzung europäischer Grundwerte, das gegen Polen und Ungarn läuft und, in letzter Konsequenz, den Entzug ihrer Stimmrechte bedeuten würde. Wird es nun beendet, könnte man das Gesicht wahren, allerdings würde das in Budapest und Warschau als Etappensieg ausgelegt.

Doch die ungarischen und polnischen Regierungsparteien Fidesz und PIS wollen viel mehr: eine massive Abschwächung der Sanktionsmittel, die im Rechtsstaatsmechanismus vorgesehen sind. Sie verweisen nicht umsonst dauernd auf die wachsweichen Formulierungen, auf die sich die Regierungschefs beim Gipfel im Juli geeinigt haben.

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Orban und Kaczynski haben längst das Sagen: Der ungarische Premier Mitte Oktober in Brüssel.
Foto: Olivier Matthys (AP)

In Brüssel wird beteuert: Das wird nicht passieren. Aber das heisst nicht viel. Orban, Kaczynski und ihr Bewunderer in Slowenien, Janez Jansa, haben das Sagen. Ohne sie läuft nichts. Den Preis für das Veto zahlen alle, nicht nur Ungarn und Polen. Dabei geht es um mehr als Geld und Strafe, es geht ihnen um das Überleben der illiberalen Demokratie und der Ideologie, auf der sie sich gründet. Hinter dem Erpressungsmanöver steht die Verachtung für Gewaltenteilung, Minderheitenrechte, Meinungsfreiheit und Transparenz – für all das, was eine lebendige Demokratie ausmacht.

Das Veto kommt daher nicht nur von der Angst vor der Kürzung jener Mittel, die letztlich in die eigenen Taschen flossen. Sondern auch aus der Überzeugung, dass die EU selbst eine Gefahr für jene Werte ist, die Orban und Kaczynski hochhalten. In beiden Ländern wird nach dem Prinzip regiert: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns – was das Volk will, bestimmen wir. Slowenien ist unter dem Rechtspopulisten Jansa auf dem Weg dorthin, slowenische Medien werden zunehmend von ungarischen Mittelsmännern aufgekauft. Die illiberale Demokratie ist als Instrument des Machterhalts längst ein transnationales Verkaufsmodell, weit über Ungarn und Polen hinaus.

[
size=18]Ein ganzes System
profitiert vom Geldfluss aus Brüssel.[/size]

Auf der Suche nach einer Einigung mit Brüssel ist die PIS vielleicht noch zu erreichen, weil die Öffentlichkeit in Polen aufmüpfiger, die Opposition stärker ist. In Ungarn aber hat Fidesz das Wahlrecht in zehn Jahren so umgebaut und Orbans Leute in so vielen zentralen Stellen untergebracht, dass eine Abwahl der Regierung fast unmöglich scheint. Bis zur Wahl 2022 wird sich das noch verstärken. Die Korruption ist endemisch und nicht an einzelne Verfahren oder Ausschreibungen gebunden. Ein ganzes System profitiert vom Geldfluss aus Brüssel. Das ist in Bulgarien oder Malta nicht anders.

Der Rechtsstaatsmechanismus soll den Verstoss gegen Grundwerte wie die Unabhängigkeit der Justiz ahnden. Aber selbst das würde nicht reichen. Die in den Augen ihrer Gegner allmächtige EU hat versucht, einen Prozess umzudrehen, der weit fortgeschritten ist. Das Veto zeigt auch: Sie kommt wahrscheinlich zu spät.
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